Ohne reicht das Geld nicht – Immer mehr Schweizer haben Zweitjobs

Die gestiegenen Lebenshaltungskosten machen Schweizerinnen und Schweizern zu schaffen – manchmal wortwörtlich. Der Anteil an Mehrfacherwerbstätigen hat deutlich zugenommen. Laut einer neuen Studie von Klar haben 18 Prozent der Befragten mindestens einen Zweitjob, ein Viertel davon sogar einen dritten oder mehr. Die Gründe für Mehrfacherwerbstätigkeit sind oft wirtschaftlicher Natur, aber auch Interesse an der Tätigkeit spielt eine Rolle. Die Budgetberatung Schweiz beobachtet, dass sich vermehrt Menschen melden, denen der Erwerb nicht mehr reicht, um über die Runden zu kommen.

Salome hat drei Arbeitsverträge. Vier Tage die Woche arbeitet sie in der Pflege, einen in der Betreuung und nachts jeweils noch einige Stunden in einem Betrieb. «Ist schon verrückt, aber sonst könnte ich meinen Kindern nicht ermöglichen, ein Instrument oder eine Sportart auszuüben, geschweige denn, ein Haustier zu halten.» Mit diesem Schicksal ist Salome kein Ausnahmefall. Auch Noémie hat einen Zweitjob. Sie arbeitet zu 80 Prozent in der Finanzbuchhaltung, gibt am Freitagabend und am Samstag den ganzen Tag noch Nothelferkurse. «Mit der Inflation ist es in der Tat schwierig, sich finanziell über Wasser zu halten», sagt sie. Wie verbreitet dieses Phänomen ist, zeigt eine neue Arbeitsmarktstudie des Arbeitgeber-Vermarktungsunternehmens «Klar». 18 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer haben mindestens einen zweiten Job, ein Viertel davon gar einen dritten oder mehr.

Nebenerwerb aus Freude – aber auch Notwendigkeit

Ein genauerer Blick auf die Daten von Klar zeigt, dass knapp 20 Prozent der befragten Frauen mehr als eine Arbeitsstelle haben, während es bei den Männern gut 16 Prozent sind. Die Geschlechterverteilung deckt sich mit den Zahlen des BfS. Unter denjenigen, die zwei Arbeitsstellen haben, arbeiten gemäss der Studie zwar knapp 60 Prozent bei ihrer Nebentätigkeit zu einem Stellenprozent von unter 25 Prozent. Doch immerhin gut 30 Prozent arbeiten bei ihrer Nebentätigkeit zu einem Stellenprozent von 26 bis 50 Prozent – 3,3 Prozent arbeiten gar zu 76 bis 100 Prozent im Nebenerwerb. Während zwar 45 Prozent der Betroffenen angeben, ihren Nebenerwerb aus Freude oder Interesse an der Tätigkeit auszuführen, geben auch 36 Prozent an, aus wirtschaftlichen Gründen einen Zweit- oder Drittjob zu brauchen.

Frustrierende Situation

«Das legt nahe, dass steigende Lebenshaltungskosten und Unsicherheit über die Einkommensentwicklung viele dazu zwingen, ihre Arbeitszeit aufzustocken», kommentieren die Studienautoren die Ergebnisse. «Die Inflationsbelastung spiegelt sich hier unmittelbar in der Erwerbsrealität wider.»  Auch Philipp Frei, Geschäftsführer des Dachverbands Budgetberatung Schweiz, nehme deutlich wahr, dass immer mehr Personen Probleme hätten, mit ihrem Einkommen durchzukommen. «Wir bekommen in letzter Zeit vermehrt Mails und Anrufe von Menschen, die an dieser Situation leiden.»

"Ohne dass sie ihren Lebensstandard ändern, haben sie von Jahr zu Jahr weniger Geld Ende Monat."

Philipp Frei, Geschäftsführer des Dachverbands Budgetberatung Schweiz

Für die Betroffenen sei das eine unglaublich frustrierende Situation. «Ohne dass sie ihren Lebensstandard ändern, haben sie von Jahr zu Jahr weniger Geld Ende Monat – wenn es überhaupt noch so weit reicht.» Das Pensum zu erhöhen oder einen zweiten oder gar dritten Job anzunehmen sei zwar eine Möglichkeit – doch eine, die nicht alle haben.

Wenn alles nicht reicht, bleibt nur die Sozialhilfe

«Besonders für Alleinerziehende ist dies oft nicht möglich, aber auch viele andere Menschen haben diese Möglichkeit nicht wegen gesundheitlichen Einschränkungen, Betreuungsaufgaben oder schlicht, weil sie keine zweite Anstellung finden.» Wichtig sei es, realistisch zu bleiben und die eigenen Möglichkeiten nicht zu überschätzen. «Wir wissen, dass eine hohe Belastung durch Zweit- und Drittjobs ein gesundheitliches Risiko ist. Wenn Menschen krank werden wegen solchen Situationen, ist niemandem geholfen.» Die Budgetberatung prüfe in den Gesprächen jeweils, welche Sparmöglichkeiten und Möglichkeiten für mehr Einnahmen es gibt. «Das könnte ein Nebenerwerb sein, aber auch zum Beispiel ein Zimmer zu vermieten.» Wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind und das Geld trotzdem nicht reicht, blieben oft nur die Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen. «Für viele Menschen ist dies aber ein schwieriger Schritt.»

Einordnung der Studie

Die Puls-Arbeitsmarktstudie wurde im Auftrag von KLAR Employer Branding von der Blue Eyes Marketing Gmbh im März 2025 durchgeführt. Dazu wurde eine Online-Befragung mittels strukturiertem Fragebogen genutzt. Die Stichprobengrösse umfasst 853 Interviews. Die abgebildete Grundgesamtheit entspreche Männern und Frauen im Alter von 20 bis 60 Jahren aus der Deutschschweiz, die sich einen Stellenwechsel vorstellen können. Das Bundesamt für Statistik (BFS) gibt für 2024 mit Bezug auf die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) an, dass 8,2 Prozent der Erwerbstätigen (ohne Lehrlinge) mehrfach-erwerbstätig sind. Die Grundgesamtheiten der Studien unterscheiden sich jedoch. Gemäss BFS-Zahlen ist der Anteil der Mehrfacherwerbstätigen von 1991 bei 4,1 Prozent bis 2024 «deutlich gestiegen» – er hat sich verdoppelt. Nicht beachtet in beiden Studien ist allerdings die genaue Pensengrösse und -Verteilung bei Mehrfacherwerbstätigen sowie die Lebenssituation der Befragten.

Unia und Arbeitgeberverband

Der Arbeitgeberverband kritisiert auf Anfrage, dass in der Klar-Studie weder die Vergleichsgrösse zur Entwicklung der Vorjahre, noch die genauen Pensen der Befragten, noch die jeweiligen Lebensumstände der Personen berücksichtigt werden. Dies erschwere weiterführende Schlüsse und die Beurteilung der realen Situation. Mehrere Teilzeitstellen böten Chancen und Risiken. Chancen, weil mehrere Stellen Abwechslung, Chancen zur Weiterentwicklung und eine Steigerung des Einkommens bieten können; Risiken, weil durch mehrere Teilzeitstellen Lücken bei den Sozialversicherungen entstehen können sowie eine fehlende Absicherung bei Nichtberufsunfällen. Nathalie Imboden, Sprecherin der Gewerkschaft Unia, sieht im zunehmenden Anteil der Mehrfacherwerbstätigen ein Zeichen dafür, dass es auch in der Schweiz viele Arbeitnehmende mit zu tiefen Löhnen gibt. «Seit zehn Jahren stagnieren die Reallöhne, es gibt immer noch viele Tieflohnstellen, vor allem in Berufen und Branchen, in denen viele Frauen arbeiten.» Neben den Gefahren für die Gesundheit bestehe so zudem die Gefahr, dass die arbeitsgesetzlichen Bestimmungen verletzt werden. «Zum Beispiel, wenn die wöchentliche oder tägliche Höchstarbeitszeit überschritten wird.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Jan Janssen erschienen am 22.08.25 auf 20min.ch