Krankes Kind betreuen - «Muss ich mein krankes Kind von Verwandten betreuen lassen?»

Ist ein Kind krank, darf ein Elternteil maximal drei Tage der Arbeit fernbleiben – bei voller Lohnfortzahlung.

Die Rechtslage kurz erklärt:

  • Ist ein Kind krank, darf ein Elternteil bei voller Lohnzahlung der Arbeit fernbleiben, um das Kind zu pflegen. Dieser Anspruch ist zwingend und darf nicht in einem Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden.
  • Der Urlaub für die Betreuung eines kranken Kindes dauert laut Gesetz pro Ereignis maximal drei Tage. Viele Gesamtarbeitsverträge sehen aber einen Betreuungsurlaub von fünf Tagen vor.
  • Ist das Kind länger krank, dürfen sich die Eltern abwechseln und ihre drei Tage nacheinander einziehen. Genügt auch das nicht, müssen sie Ferientage einziehen oder eine andere Betreuungslösung organisieren.
  • Ist ein Kind gesundheitlich schwer beeinträchtigt, können berufstätige Eltern seit 2021 einen maximal 14-wöchigen Urlaub beanspruchen. In diesem Fall haben sie statt dem Lohn Taggelder aus der Erwerbsersatzordnung (EO) zugute, 80 Prozent des versicherten Verdienstes.
  • In allen Fällen verlangt das Gesetz, dass Eltern ein Arztzeugnis vorlegen müssen, welches bestätigt, dass ihr Kind krank ist. Dieses Zeugnis muss der behandelnde Arzt des Kindes zuhanden des Arbeitgebers der Eltern ausstellen. Wie bei allen Arztzeugnissen darf es keinerlei Angaben zur Diagnose enthalten.
  • Anspruch auf freie Tage haben darüber hinaus auch Personen, die ein Familienmitglied, einen Angehörigen oder eine Lebenspartnerin pflegen. Auch sie können drei Tage der Arbeit fernbleiben, wenn es der Gesundheitszustand der betreffenden Person erfordert. Allerdings ist hier der Urlaub auf maximal zehn Tage pro Dienstjahr beschränkt.
  • Alle diese Regeln gelten für privatrechtlich Angestellte. Bei Angestellten, die nach den Regeln des öffentlichen Rechts angestellt sind (zum Beispiel Verwaltungsangestellte) können abweichende Regeln gelten.

Informationen vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco

Informationen vom Bundesamt für Sozialversicherungen BSV

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Was sich in der Freiburger Familienpolitik ändert

Wie der neue "Familienschalter" funktioniert, welche Familien betroffen sind und was dies den Kanton kostet.

Der Kanton Freiburg zählt im Verhältnis zur Bevölkerung die zweitmeisten Familien in der Schweiz. Gleichzeitig führen die Freiburgerinnen und Freiburger die Statistik der Scheidungen an. Beides waren Gründe, die Familienpolitik zu überdenken. Fast 13 Jahre nach einer entsprechenden Motion des Freiburger Parlaments, hat die Regierung nun einen Gesetzesentwurf präsentiert. Was steht da drin? 

Die Idee: Entstigmatisieren

Neu soll in jedem Bezirk ein sogenannter Familienschalter geschaffen werden. Dieser entlastet Familien in schwierigen finanziellen Situationen und soll unter anderem bei der Jobsuche oder zusätzlichen Ausbildungen für die Eltern helfen. Bereits heute gibt es im Kanton Freiburg 800 Familien, die Sozialhilfe beziehen. Das will man nicht mehr, sagt Hans Jürg Herren, Direktor der Freiburger Sozialversicherungen: Kinder sollen kein Grund für den Bezug von Sozialhilfegeldern sein. Dies sieht auch die Verfassung vor.

Deshalb ist der neue Familienschalter nicht mehr mit dem Stempel "Sozialhilfe" belastet. So hilft das Programm den Eltern bei der Jobsuche oder schlägt Ausbildungen, die zu einem neuen Job führen könnten. Die angesprochenen 800 Familien werden direkt in das neue Programm integriert. Der Kanton rechnet aber damit, dass nach einer Übergangsphase rund 1200 Familien vom Familienschalter profitieren werden. Dies geht aus Schätzungen der Steuerunterlagen hervor. Um diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, gibt es klare und detaillierte Regeln. Unter anderem spielen der Lohn, die Miete, die Krankenkassenprämien und auch das Alter der Kinder eine Rolle. Diese dürfen nicht älter als acht Jahre sein. 

Wie viel kostet das den Kanton?

Die detaillierten Regeln führen auch dazu, dass der Kanton jeden Fall einzeln anschauen muss. Das kostet mehr, bringt einen administrativen Mehraufwand und benötigt auch mehr Personal. Doch Hans Jürg Herren relativiert: Wir hoffen, dass die zusätzlichen Unterstützungen eine schnellere Lösung ergeben und die betroffenen Eltern so rascher wieder von der Hilfe wegkommen können.

Insgesamt kostet der neue Familienschalter brutto rund 14 Millionen Franken. Da jedoch bereits heute in diesem Bereich Ausgaben getätigt werden, welche später wegfallen sollen, ergibt die Nettorechnung ein anderes Resultat: Zusätzlich rund 4,5 Millionen wird diese neue Form von Familienunterstützung kosten. Dabei teilen sich der Kanton und die Gemeinden die Kosten praktisch gleichmässig auf.

Nun entscheidet der Grosse Rat

Dieser Vorschlag geht nun als Gesetzesentwurf vor das Freiburger Parlament. Dieses entscheidet letztlich in den zwei Lesungen, welche Artikel beibehalten, geändert, gestrichen oder neu geschrieben werden. Auch finanzielle Anpassungen sind noch möglich. In welcher Form der neue Familienschalter schliesslich daherkommt, ist also noch unklar. Das Ziel wäre es, ab 2025 bereit zu sein. 

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Freiburg konkretisiert die Ergänzungsleistungen für Familien und veröffentlicht einen Bericht zur Familienpolitik

Nach der Pandemie: So viel Homeoffice setzte sich durch

Während der Corona-Pandemie mussten viele Angestellte ins Homeoffice wechseln. Auch jetzt, lange nach Massnahmen-Ende, erlauben viele Firmen die Arbeit von zu Hause. Die Pandemie habe gezeigt, dass Homeoffice «in den meisten Büroberufen funktioniert».

Die Corona-Pandemie stellte das Leben auf den Kopf: Homeoffice, Zertifikate und Abstandsregeln bestimmten den Alltag. Mitte Februar 2022 beendete der Bundesrat die schweizweiten Corona-Massnahmen.Maskenpflicht & Co. sind längst gefallen. Aber eine Nau.ch-Umfrage bei grossen Schweizer Firmen zeigt: Das Homeoffice hat sich auch über die Pandemie hinaus durchgesetzt. Zum Beispiel bei der Schweizerischen Post. «Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Homeoffice in den meisten Büroberufen funktioniert. Und ein Bedürfnis für unsere Mitarbeitenden nach wie vor besteht», sagt Sprecher Stefan Dauner.

Zeit im Büro bleibt wichtig

Bei der Post sind 47'000 Mitarbeitende beschäftigt. Rund 12'000 davon haben grundsätzlich die Möglichkeit, von Zuhause aus zu arbeiten. Dennoch: «Die gemeinsame Zeit im Büro bleibt zentral. Homeoffice ergänzt als normaler Bestandteil die Zusammenarbeit.» In anderen Unternehmen wird ebenfalls stark auf Homeoffice gesetzt. «Im April 2022 haben wir ein neues hybrides Arbeitsmodell eingeführt», sagt ein Nestlé-Sprecher auf Anfrage. Dieses sehe vor, dass die Büro-Mitarbeitenden «etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit ausserhalb des Büros in Telearbeit leisten können». Derzeit steigen die Corona-Fälle in der Schweiz wieder an. Nestlé sagt dazu: Vor den Wintermonaten erinnere man die Mitarbeitenden daran, wie sie sich, ihre Familien und Kollegen vor Erkältungen und Co. schützen können. «Dazu gehört, dass wir sie bitten, zu Hause zu bleiben, wenn sie sich unwohl fühlen.» Bei Novartis können Büro-Mitarbeitende derweil bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen.

Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Auch bei der Swisscom gehört Homeoffice zum Alltag: «Unsere Mitarbeitenden können – unabhängig von der jetzigen Situation – schon seit Jahren Homeoffice machen», erklärt Sprecherin Sabrina Hubacher. Das Unternehmen fördere mobiles Arbeiten, damit Mitarbeitende «ihr Berufs- und Privatleben noch besser unter einen Hut kriegen». Aber: «Für die Kultur und die Team-Integration von neuen Mitarbeitenden sehen wir, dass eine gewisse gemeinsame Zeit im Büro benötigt wird.» Deshalb sollen die Swisscom-Mitarbeitenden mindestens zwei Tage pro Woche im Büro arbeiten. Bei Roche ist Homeoffice ebenfalls zentral – auch schon vor Corona. Flexibles Arbeiten sei Teil der Anstellungsbedingungen für alle Mitarbeitenden, «die für ihre Arbeit nicht zwingend vor Ort sein müssen», heisst es. Das Unternehmen erklärt: «Grundsätzlich erwarten wir, dass Mitarbeitende die Mehrheit ihrer Arbeitszeit vor Ort an einem der Roche-Standorte verbringen. Die Mitarbeitenden können allerdings in Rücksprache mit ihren Vorgesetzten und Teams frei über das Wann und Wo entscheiden.» Und es gilt weiterhin: Wer sich krank fühlt, soll zu Hause bleiben, um «sich und andere zu schützen».

Weiterlesen Weiterlesen - ein Beitrag von Beitrag von Anna Baumert erschienen am 03.10.2023 auf www.nau.ch

Wirtschaft stellt 5-Tage-Woche zur Debatte

Konzerne wie ABB, Migros und Stadler Rail haben mit ihren Mitarbeitenden einen Ratgeber für die «Arbeit der Zukunft» entwickelt. Dazu gehören auch Massnahmen für eine mögliche Umstellung auf eine Vier- oder Sechs-Tage-Woche.

Welche Unternehmenskultur zieht Fachkräfte an? Wie präsentiert sich eine Firma erfolgreich auf Linkedin? Was fördert die (mentale) Gesundheit des Personals? Was für Möglichkeiten gibt es für eine zeitliche Flexibilisierung der Arbeit? Mit solchen Fragen haben sich in den vergangenen eineinhalb Jahren wichtige Akteure der Schweizer Wirtschaft beschäftigt. Neben Migros, der grössten Arbeitgeberin des Landes, waren namhafte Industriebetriebe wie ABB, Bühler, Geberit, Georg Fischer und Stadler Rail an dem Projekt beteiligt. Involviert waren auch der Schweizerische Arbeitgeberverband, der über 100'000 Klein-, Mittel- und Grossunternehmen vertritt, Swissstaffing, der Verband der Personaldienstleister, sowie Swissmem, der Verband der Schweizer Tech-Industrie.

Produktionsbetriebe haben ein Attraktivitätsproblem

Die starke Vertretung von Produktionsbetrieben ist kein Zufall. Denn Arbeitgeber, die vorwiegend stationäre Jobs anbieten, haben ein Attraktivitätsproblem: Weil viele ihrer Angestellten in die Fabrik kommen müssen und Homeoffice oft unmöglich ist, haben sie es tendenziell schwieriger, gute Leute zu finden. «Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Nachgang der Corona-Pandemie die Frage gestellt, wie das Arbeitsumfeld auch für Mitarbeitende in der Produktion noch attraktiver gestaltet werden könnte», sagt Kareen Vaisbrot (45), Bereichsleiterin Arbeitgeberpolitik bei Swissmem. Ausgehend von dieser Frage sind zehn sogenannte «Best Practices» zur Arbeitswelt von heute entstanden. Der umfangreiche Leitfaden soll Firmen als «Anregung und Ideengeber» dienen, um moderne Arbeitgeber zu sein. Als mögliche Massnahme, um die Attraktivität von Büezer-Jobs zu steigern, wird etwa die Einrichtung von Ruheräumen in unmittelbarer Nähe der Produktion genannt – am besten mit Sitzmöglichkeiten und Ohropax-Spender. Angeregt werden auch Verpflegungsmöglichkeiten mit vollwertigen Mahlzeiten – oder am besten gleich ein Personalrestaurant, in dem Mitarbeitende aus der Produktion Vorrang geniessen.

Leitfaden beinhaltet viel positives für Arbeitnehmende

Um das Gesundheitsmanagement zu verbessern, wird den Unternehmen ein betrieblicher Sozialberatungsdienst ans Herz gelegt. «Der Sozialberatungsdienst unterstützt Mitarbeitende in schwierigen Situationen und hilft Lösungen bei beruflichen und psychosozialen Herausforderungen zu finden», so die Idee. Auch die Vorschläge betreffend Lifelong Learning (zu Deutsch: lebenslanges Lernen) hören sich für die Arbeitnehmenden positiv an: «Es wird den Unternehmen empfohlen, in die berufliche Entwicklung ihrer Mitarbeitenden zu investieren. Dafür sollten entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.» 

Arbeitszeit soll flexibler gestaltbar sein

Zentrales Element des Leitfadens ist zudem eine zeitliche Flexibilisierung der Arbeit. Für Produktionsmitarbeitende wird etwa ein «spezielles Extra-Schicht-System» aufs Tapet gebracht, das die Möglichkeit schaffen soll, über Mittag – zwecks Kinderbetreuung – nach Hause gehen zu können. Des Weiteren wird ein Pool von «Joker-Mitarbeitenden» oder «Springern» als Möglichkeit genannt, um dem Stammpersonal mehr Flexibilität zu ermöglichen. Die Flexibilisierung der Arbeitswoche hat gar ein eigenes Kapitel erhalten. Dort heisst es wörtlich: «Ging es bislang häufig um die Frage der Präsenz vor Ort oder Remote Working, so könnte ein weiterer Schritt sein, die Arbeitswoche an sich flexibel zu gestalten und vom traditionellen Bild der 5-Tage-Woche abzuweichen.» Eine Arbeitswoche lasse sich auch auf vier beziehungsweise sechs Tage verteilen. Dabei gilt es festzuhalten: Die Gesamtarbeitszeit pro Woche wird nicht infrage gestellt. Doch anstatt die vorgegebenen 40 Stunden an fünf 8-Stunden-Tagen zu erreichen, könne das auch an vier 10-Stunden-Tagen geschehen. «Das Obligationen- und Arbeitsrecht bietet eine gewisse Flexibilität in der Frage, wann gearbeitet wird», so der Ratgeber.

Oder doch lieber eine 6-Tage-Woche?

Eine 6-Tage-Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von 6 Stunden und 40 Minuten sehen die Autoren ebenfalls als gangbaren Weg. Sie merken aber an: «Bei der Aufteilung der Arbeitszeit auf mehr als fünf Tage muss ein freier Halbtag gewährt werden.» Ziele einer solchen Flexibilisierung sind gemäss Leitfaden eine «moderne Arbeitskultur», «attraktive Arbeitszeitmodelle» zur Fachkräftegewinnung sowie die Möglichkeit für ältere Mitarbeitende, weiterhin erwerbstätig zu bleiben. Doch es ist klar: Nicht alle werden die genannten Massnahmen so positiv bewerten. Insbesondere die Anregung einer 6-Tage-Woche dürfte auf gewerkschaftlicher Seite lautstarken Protest auslösen.

Vorschläge für den Leitfaden wurden von Angestellten eingebracht

Das Besondere an den Vorschlägen ist jedoch, dass sie auch von Angestellten eingebracht wurden. Die genannten Verbände und Unternehmen haben die zehn «Best Practices» nicht top-down festgelegt, sondern in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretungen und Personalkommissionen entwickelt. Stark involviert war zudem der Verband Angestellte Schweiz. Dessen Geschäftsführer Stefan Studer (60) ist überzeugt: «Mehr zeitliche Flexibilität ist auch im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – sofern eine solche Vereinbarung in gegenseitigem Einvernehmen zustande kommt.» Studer und Vaisbrot von Swissmem betonen die Einzigartigkeit des Projekts: «Arbeitnehmende und Arbeitgebende haben diese ‹Best Practices› in gemeinsamen, intensiven Workshops erarbeitet. So etwas gab es in der Schweiz noch nie.»

Arbeitsmarkt nachhaltig verändern

Auf die Frage, wieso Gewerkschaften wie die Unia nicht ebenfalls an Bord geholt wurden, meint Vaisbrot: «Es wurden auch nicht alle Arbeitgeber miteinbezogen. Wir hoffen aber, dass auf dieser Basis eine Bewegung bei Arbeitgebern und Arbeitnehmenden hin zu pragmatischen Lösungen auf Unternehmensebene entsteht.» In den kommenden Wochen werden die Verbände den Leitfaden ihren Mitgliedern präsentieren. Zehntausende Firmen und Personalverantwortliche dürften die Vorschläge für die «Arbeit der Zukunft» erhalten. Ist die traditionelle 5-Tage-Woche damit bald Geschichte? Studer von Angestellte Schweiz winkt ab: «Die Anregungen und Tipps sind nicht verbindlich, sondern als Rezeptbuch zu verstehen: Jeder pickt sich raus, was für ihn passt.» Angesichts der namhaften Autoren-Gemeinschaft hat das Werk aber durchaus das Potenzial, die Schweizer Arbeitswelt nachhaltig zu verändern. Den rasanten Siegeszug des Homeoffice hatte auch kaum jemand kommen sehen.

Weiterlesen - ein Beitrag publiziert am 01.10.2023 auf www.blick.ch

So eng wird es für den Mittelstand

Krankenkasse, Strom, Miete: Das Leben in der Schweiz wird teurer und teurer. Was bedeutet das für den Mittelstand? Familie Z. aus Bern gibt Einblick in ihr Haushaltsbudget.

«Wir sind Migros-Kinder», sagt Paul Z.*. «Migros-Aktions-Kinder, um genau zu sein.» Seine Familie muss stark auf die Ausgaben achten. Künftig umso mehr, denn Krankenkassen-Prämien, Strom und vieles andere wird teurer. Paul Z. ist bereit, Blick Einblick in sein Haushaltsbudget zu gewähren, wenn er dafür anonym bleiben kann. Das Budget zeigt, worauf sich der Mittelstand einstellen muss. Paul ist in den Vierzigern und verheiratet. Er wohnt im Umland der Stadt Bern und arbeitet bei der Post. Seine Frau ist Mitte 40. Sie arbeitet bei den SBB in einem 50-Prozent-Pensum. Das Ehepaar hat eine 17-jährige Tochter, die derzeit eine Ausbildung macht, der 14-jährige Sohn geht noch zur Schule.

Es bleiben keine 100 Franken

Netto verdient das Paar zusammen 7850 Franken. Hinzu kommt noch Kindergeld in der Höhe von insgesamt 580 Franken. Plus – je nach Dienst – Zuschläge. Diese gibt es aber nicht regelmässig. Ohne diese bleiben Ende Monat knapp 65 Franken übrig. «Wir sind extrem sparsam – also vor allem meine Frau», sagt Paul Z. Wenn dank der Zuschläge Ende Monat aber einmal 400 Franken übrig bleiben, «dann ist das sehr viel», sagt der Berner. «Und viel zu selten der Fall.» Die Wohnung ist der einzige kleine Luxus, den sich die Familie leistet. Als die Kinder noch klein waren, ergab sich die Möglichkeit, in diese zu ziehen. Sie kostete zwar 150 Franken mehr als die frühere Wohnung, aber sie hat 80 Quadratmeter Rasen. «Das war für die beiden Kinder natürlich toll. – Und ja, seit kurzem hab ich einen Smoker!» Freunde und Familie haben zusammengelegt, um Paul zum Geburtstag diesen Traum zu erfüllen.

1000 Franken für die Krankenkasse

Der Post-Angestellte geht davon aus, dass seine Miete nicht teurer wird im kommenden Jahr. Schliesslich habe er trotz sinkendem Referenzzinssatz ja auch nie auf einer Mietreduktion bestanden in den letzten Jahren. Ganz sicher ist er sich aber nicht, dass es nicht doch zu einer Erhöhung kommt. Was aber jetzt schon klar ist: In Pauls Wohnort schlägt die Kilowattstunde Strom um fast 2 Rappen auf. Für die Familie bedeutet das Mehrkosten von jährlich 75 Franken. Schon aufs laufende Jahr hin hatte Familie Z. einen Strompreisanstieg von 12 Rappen verkraften müssen. Und auch die Krankenkassen-Prämien steigen. Fast 1000 Franken zahlt die vierköpfige Familie aktuell im Monat inklusive der Zusatzversicherungen. Allein schon die Grundversicherungen schlagen aktuell mit 805 Franken zu Buche. Neu werden die Grundprämien bei derselben Krankenkasse 873 Franken kosten. Damit entspricht das Plus ziemlich genau der durchschnittlichen Steigerung von 8,3 Prozent im Kanton Bern. Allein schon die monatlich 68 Franken Mehrkosten für die Grundversicherung sind mehr, als Pauls Mittelstandsfamilie normalerweise Ende Monat übrig bleibt.

Die Familie muss sich im kommenden Jahr also einschränken, obwohl das Ehepaar mit einem Bruttohaushaltseinkommen von mehr als 100'000 Franken besser gestellt ist als so manch anderes Paar. Das Beispiel zeigt jedoch, dass es wegen der Teuerung nun auch bei Mittelstandsfamilien eng wird. Mit einem Krankenkassen-Wechsel der gesamten Familie Z. zur günstigsten Krankenversicherung liessen sich laut Internet-Kassen-Rechner gerade einmal 33.30 Franken einsparen. Natürlich könnte die Familie auch bei den Zusatzversicherungen «abspecken», doch Paul und seine Frau halten die Zusatzfranken für gut investiertes Geld. «Vor allem bei den Kindern haben sich diese gelohnt.» Für sie hat das Paar nämlich Zahnversicherungen abgeschlossen. Beide Kinder tragen eine Spange. Ohne Versicherung käme das viel teurer.

Nur jedes zweite Jahr ins Ausland

Wo sparen sie aber dann? Bei den Ferien? Während andere Familien jeden Sommer für zwei Wochen ans Meer fahren und im Winter vielleicht noch Skiferien machen, muss sich die Berner Familie schon heute mit einer Ferienwoche im Jahr begnügen. Ins Ausland geht es dabei nur alle zwei Jahre. «Mehr liegt einfach nicht drin», so Paul, der bald ins Bündnerland reisen wird. «Dank Beziehungen können wir dort sehr günstig eine Ferienwohnung nutzen. Und, ich schäme mich fast etwas – möglich werden die paar Ferientage für uns auch dank eines finanziellen Zustupfs der Schwiegermutter.»

Dass ein Ehepaar, das wie Paul und seine Frau bei einem der grossen Schweizer Staatsbetriebe arbeitet, kaum mehr über die Runden kommt, gibt zu denken. Dabei profitiert die Ehefrau sogar noch von einem Zweitklass-GA, das das Mobilitätsbudget entlastet. «Aber ich muss mit dem Auto zur Arbeit, da ich früh morgens dort gar nicht ohne PW hinkäme. Als Dankeschön muss ich noch 30 Franken für den Parkplatz hinblättern», sagt er. «Dafür erhalte ich von der Post 5 Franken Essenspauschale.» Das Restaurant, in dem es für 5 Franken ein Mittagessen gibt, habe er aber noch nicht gefunden, scherzt Paul, der brutto etwa 65'000 Franken jährlich verdient bei der Post. «Aber dass die Pauschale nicht einmal für ein Sandwich reicht, geht ja eigentlich schon nicht», findet er.

Millionengehalt, aber Gratisparkplatz

Zum Vergleich: Post-Chef Roberto Cirillo (52) hat einen Jahreslohn von gut einer Million Franken. Auch Cirillo hat wie alle Mitglieder der Post-Konzernleitung einen eigenen Parkplatz. Diesen braucht er aber kaum. Cirillo kommt fast immer mit den Öffentlichen, wie die Post Blick-Informationen bestätigt. Sein GA zahle Cirillo selbst. Müsste Cirillo wie Paul 0,6 Prozent seines Jahreslohns für den Parkplatz zahlen, würden für ihn somit 6000 Franken jährlich fällig. Die Post gibt an, man überprüfe, ob der Geschäftsleitung auch künftig noch Gratisparkplätze zur Verfügung gestellt werden sollen. Dafür könnte man aus Pauls Sicht denjenigen einen kostenlosen Parkplatz zur Verfügung stellen, die darauf angewiesen sind. Vor allem aber hoffen Haushalte wie der von Familie Z. auf den vollen Teuerungsausgleich und allenfalls noch eine kleine Reallohnerhöhung – und einen nachsichtigen Vermieter, der den Mietzins nicht anhebt, auch wenn er könnte. Sonst müssten die Z.s wohl am ehesten Abstriche beim Budgetposten für Unvorhergesehenes und Geschenke machen. Das merkt die Familie am wenigsten – zumindest so lange nichts Unvorhergesehenes passiert.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 30.09.2023 auf www.blick.ch

Der Schweiz gehen die Arbeitskräfte aus – diese drei Rezepte helfen

Der Arbeitskräftemangel beschäftigt die Schweiz – und er dürfte in Zukunft noch grösser werden. Doch wie soll er behoben werden? Das Chancenbarometer 2023 geht dieser Frage auf den Grund.

Der Arbeitskräftemangel hemmt die Schweizer Wirtschaft – und er ist hausgemacht. Dies zeigt das Chancenbarometer 2023 (siehe Infobox am Artikelende). Denn sowohl Frauen als auch Personen im Vorruhestand und über 65-Jährige wären bereit, deutlich mehr zu arbeiten. Zumindest, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die repräsentative Untersuchung der Universität St.Gallen hat die Gründe gesucht – und gefunden. Die wichtigsten Erkenntnisse.

Die Kluft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Was macht das Arbeiten in der Schweiz schwierig? Die Frauen sehen die Hürden hauptsächlich in der fehlenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei den Älteren sind es mangelnde Lohntransparenz und zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle. Die Firmen sind neben der Politik gefordert, die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden ernst zu nehmen. Jobst Wagner, Präsident der LARIX Foundation und Unternehmer, zeigt die Ergebnisse: «Die Bedürfnisse von Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern weichen noch zu stark voneinander ab und behindern die Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials der Schweiz.» Studienleiterin Prof. Tina Freyburg sieht den aktuellen Engpass an Arbeitskräften als grosse Chance, die Arbeitswelt zu modernisieren: «Mit fast 50 Prozent wird ein grosses Potenzial für positive Veränderungen gesehen. Aber auch ein sehr grosser Handlungsbedarf, der sich stark auf fehlende Familienvereinbarkeit bezieht.» So ist die HSG-Professorin überzeugt: Parteien, welche in den kommenden Parlamentswahlen für verbesserte Arbeitsbedingungen einstehen, verbessern ihre Wahlchancen.

Männer und Frauen haben unterschiedliche Prioritäten

Die Prioritäten bei der Arbeitsstelle sind zwischen Männern und Frauen unterschiedlich. Die Hauptpriorität der Frauen liegt darauf, dass sie Teilzeit arbeiten können und die Löhne transparent sind. Männer wollen Vollzeit arbeiten und Aufstiegschancen sehen.

Was gegen Vollzeitarbeit spricht

Da das Arbeitspensum bei Männern und Frauen die höchste Priorität besitzt, schauen wir uns an, was denn die Gründe für Teilzeitarbeit sind. Auch hier stellen wir deutliche Unterschiede fest. Rund zwei Drittel der Männer wählen Teilzeitarbeit, um sich selbst etwas Gutes zu tun oder in die Zukunft zu investieren. Bei Frauen sind dies nur für rund 25 Prozent der Teilzeitarbeitenden die Gründe. Hauptgrund bei Frauen ist klar die (fehlende) Vereinbarkeit von Familie und Arbeit.

Warum Rentner weiter arbeiten würden

Weiter bestätigt das Chancenbarometer, dass sich ältere Arbeitnehmende gerne weiterhin im Erwerbsleben engagieren, wenn ihre Tätigkeit zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt. Allerdings erwarten auch die Älteren eine Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeit. Weiter sollte Lohntransparenz gegeben sein, wie die Studie zeigt. Ebenfalls wichtig für Menschen, die wegen der Freizeit im Vorruhestand sind, sind Gleitzeitmöglichkeiten und die Entlastung bei der Enkelbetreuung.

Was die Jungen wollen

Blicken wir noch auf die letzte Gruppe: die Jungen. Sie wollen alles unter einen Hut bringen: Karriere, Familie und Einstehen gegen den Klimawandel. Tina Freyburg sagt: «Die Firmen werden nicht umhinkommen, sich noch mehr an die Erwartungen der jüngeren Generationen anzupassen und sich umfassend mit neuen Arbeitsformen auseinanderzusetzen.» Die höchste Priorität nimmt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Unternehmen, die Teile der Betreuungskosten für Kinder übernehmen, werden damit interessant.

Die drei Rezepte

Die Studienleiter kommen zum Schluss, dass drei Punkte die Situation am Arbeitsmarkt verbessern würden. Sie geben diese als Handlungsempfehlung zur Linderung des Arbeitskräftemangels ab:

  • Die Hebel zur wirksamen Mobilisierung identifizieren: Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen ihre gestärkte Position nützen und die Bedürfnisse klar kommunizieren.
  • Den Arbeitskräftemangel zur Modernisierung nutzen: Firmen sollten Massnahmen wie die Teilfinanzierung von Kinderbetreuungskosten und glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategien ergreifen.
  • Die Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität schaffen: Politik setzt Anreize, Firmen probieren flexiblere Arbeitsmodelle aus und Fehlanreize (zum Beispiel durch die zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung) werden korrigiert.
Daten und Quellen
 
Der vierte Schweizer Chancenbarometer der LARIX Foundation und der Universität St.Gallen wurde am 29. September 2023 publiziert. Schwerpunkt der repräsentativen Untersuchung von Projektleiterin Prof. Dr. Tina Freyburg ist das inländische Lösungspotenzial zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Die Befragungen für den Chancenbarometer 2023 wurden zwischen dem 5. Mai und 5. Juni 2023 durchgeführt, auch wir bei watson.ch riefen dazu auf. Mitgemacht haben 3842 Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz ab 15 Jahren. Alle Angaben sind anpassungsgewichtet nach soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Sprache, Kanton, Siedlungsart, Bildung, Partei) zur möglichst repräsentativen Abbildung der Bevölkerung. Unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich +/– 1,5 Prozentpunkte (bei 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit).
 
Weiterlesen - ein Beitrag von Reto Fehr erschienen am 29.09.2023 auf www.watson.ch