Mehr Geburten und mehr Geschwister im Jahr 2021

2021 verzeichnete die Schweiz 89 600 Lebendgeburten, bei drei Vierteln waren die Mütter 30 Jahre oder älter. Zweite und weitere Geburten legten stärker zu als Erstgeburten. Im gleichen Jahr kamen nahezu drei von zehn Kindern ausserehelich zur Welt. Die Zahl der Eheschliessungen und der Scheidungen ist 2021 gestiegen, jene der eingetragenen und der aufgelösten Partnerschaften hingegen zurückgegangen. Zudem gab es weniger Todesfälle als im Jahr 2020. Dies zeigen die definitiven Ergebnisse der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung des Bundesamtes für Statistik (BFS) für das Jahr 2021.

Die definitiven Ergebnisse 2021 der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung bestätigen die Entwicklungen, die sich bei der Veröffentlichung der provisorischen Zahlen im April 2022 abgezeichnet haben. Sie liefern detailliertere Informationen zu den Geburten, Todesfällen, Eheschliessungen und Scheidungen. 

Die Familien werden grösser

2021 wurden in der Schweiz 89 600 Lebendgeburten registriert, was gegenüber dem Vorjahr einer Zunahme von 3700 Lebendgeburten bzw. 4,3% entspricht (+3500 bzw. +4,0% gegenüber 2019). Von Januar bis April wurden 1100 Kinder mehr geboren als im gleichen Zeitraum 2020 (+4,1%), von September bis Dezember waren es 1800 mehr als in den entsprechenden Vorjahresmonaten (+6,4%). Auch lagen diese Werte über jenen der entsprechenden Perioden 2018 und 2019.

Bei den Frauen ab 30 Jahren ist die Zahl der Geburten gegenüber 2020 um 6,6% gestiegen, bei den Frauen unter 30 Jahren war sie hingegen rückläufig (–1,7%). Zweite und weitere Geburten haben stärker zugenommen als Erstgeburten (+5,9% gegenüber +2,7%). Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau hat sich von 1,46 im Jahr 2020 auf 1,52 im Jahr 2021 (provisorische Zahl) erhöht (2019: 1,48). 

64 100 Lebendgeburten erfolgten innerhalb einer Ehe (+3,1% gegenüber 2020), 25 500 waren nicht ehelich (+7,5% gegenüber dem Vorjahr). Letztere machten 2021 insgesamt 28,5% aller Lebendgeburten aus, gegenüber 11,2% im Jahr 2001. 2021 wurden zudem 24 700 ausserehelich geborene Kinder anerkannt, was einem Anstieg von 10,3% entspricht. Eine solche Veränderung wurde letztmals 2007 verzeichnet. Vaterschaftsanerkennungen vor der Geburt nahmen um 4,7% zu, jene nach der Geburt um 21,0%.

Zahl der Todesfälle bleibt trotz Rückgang hoch

Obwohl 2021 nicht ganz so viele Todesfälle verzeichnet wurden wie 2020, waren es doch immer noch deutlich mehr als 2019 (+3400 bzw. +5,0%). 2021 starben in der Schweiz 71 200 Menschen, 5000 bzw. 6,6% weniger als im Vorjahr. In den Monaten Januar, Juli, August und September 2021 lag die Zahl der Todesfälle über den Werten der entsprechenden Vorjahresmonate. Allein im Januar 2021 starben fast 1700 mehr Menschen als im Januar 2020 (+28,0%). Von Juli bis September 2021 wurden nahezu 600 bzw. 3,9% mehr Todesfälle registriert als in den gleichen Monaten 2020. Auch lagen diese Werte über jenen der entsprechenden Perioden 2018 und 2019.

2021 sank die Zahl der Todesfälle in mehreren Altersklassen, insbesondere bei den Personen ab 70 Jahren, wo sie gegenüber 2020 um 8,3% zurückging. Zugenommen hat sie hingegen bei den 20- bis 29-Jährigen (+1,2%), den 50- bis 59-Jährigen (+2,7%) und den 60- bis 69-Jährigen (+4,2%). 

Mehr Eheschliessungen, weniger eingetragene Partnerschaften

2021 wurden 36 400 Ehen geschlossen, 3,6% mehr als 2020 (6,6% weniger als 2019). Davon waren 26 800 Erstheiraten zwischen zwei Ledigen. Das Durchschnittsalter der Männer bei der Erstheirat lag unverändert zu 2020 bei 32,2 Jahren, bei den Frauen erhöhte es sich leicht von 30,2 auf 30,3 Jahre. Bei den übrigen 9600 Eheschliessungen handelte es sich um Wiederverheiratungen. Gegenüber dem Vorjahr nahmen sowohl Erstheiraten als auch Wiederverheiratungen zu (+4,1% bzw. +2,0%), verglichen mit 2019 verzeichneten hingegen beide eine Abnahme (–4,7% bzw. –11,5%). 

Die Zahl der eingetragenen Partnerschaften ist seit 2018 rückläufig. 2021 wurden 582 Partnerschaften eingetragen, 69 weniger als 2020 (–10,6%). Männerpaare entscheiden sich nach wie vor häufiger zu diesem Schritt als Frauenpaare (361 bzw. 221 eingetragene Partnerschaften). 

Anstieg der Scheidungen, insbesondere im 1. Halbjahr 2021

2021 wurden 17 200 Scheidungen ausgesprochen; dies entspricht einer Zunahme von 5,9% im Vergleich zum Vorjahr (+1,6% gegenüber 2019). Besonders stark stieg die Zahl der Scheidungen im 1. Halbjahr 2021. In diesem Zeitraum wurden 1500 Paare mehr geschieden als im 1. Halbjahr 2020 (+18,7%) und auch mehr als in den entsprechenden Zeiträumen 2018 und 2019. In der 2. Jahreshälfte 2021 sind die Scheidungszahlen mit jenen von 2018 und 2019 vergleichbar.

Bei seit kurzer Zeit (0 bis 4 Jahre) verheirateten Paaren verringerte sich die Zahl der Scheidungen gegenüber 2020 (–6,7%), bei länger verheirateten Paaren nahm sie hingegen zu (5–9 Jahre: +3,9%; 10–14 Jahre: +12,0%; 15–19 Jahre: +10,5%; 20 Jahre und mehr: +5,7%). Die Zahlen von 2019 zeigen einen ähnlichen Trend, d.h. einen Rückgang der Scheidungen in den ersten Ehejahren (0–9 Jahre: –6,9%) und einen Anstieg bei Paaren, die seit mindestens zehn Jahren verheiratet waren (+6,2%). Demzufolge nahm die durchschnittliche Ehedauer bei der Scheidung von 15,6 Jahren im Jahr 2020 auf 15,7 Jahre im Jahr 2021 leicht zu. Bei Fortsetzung der 2021 beobachteten Trends ist davon auszugehen, dass zwei von fünf Ehen (41,9%) eines Tages geschieden werden. 

Die Zahl der aufgelösten Partnerschaften erhöhte sich zwischen 2007 und 2020 konstant. 2021 wurden 211 eingetragene Partnerschaften aufgelöst, eine weniger als 2020 (–0,5%). Bei Frauenpaaren ist gegenüber 2020 ein Rückgang zu beobachten (–6,8%), bei Männerpaaren hingegen eine Zunahme (+4,0%).

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Der Trend zur Teilzeitarbeit befeuert den Lehrermangel

Wenn alle Lehrpersonen ihr Pensum um 10 Prozent erhöhten, wäre das Problem des Lehrermangels gelöst, heisst es im Bildungsbericht. Experten halten das aber nicht für praktikabel.

In der Not setzt der Kanton Zürich auf Schnellbleichen. In einer «Kompaktwoche» während der Sommerferien, durchgeführt von der Pädagogischen Hochschule Zürich, werden Personen ohne Lehrdiplom darauf vorbereitet, ab nächstem Schuljahr Kinder zu unterrichten. Zum Angebot gehört ein Coaching während des ersten Unterrichtsjahres. Online können sich die Instant-Lehrkräfte selber beibringen, wie lustlosen Schülern zu begegnen ist. Die Anstellungen sind auf ein Jahr befristet; wer sich bewährt, erhält einen erleichterten Zugang zur Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule.

Landauf, landab versuchen Kantone und Gemeinden, den akuten Lehrermangel - Hunderte Stellen sind noch unbesetzt - mit mehr oder weniger kreativen Massnahmen zu entschärfen. Das Problem wird sich angesichts steigender Schülerzahlen und einer bevorstehenden Pensionierungswelle in den nächsten Jahren akzentuieren. Gleichzeitig hängt jeder fünfte junge Lehrer seinen Beruf innerhalb der ersten fünf Jahre an den Nagel. Wie können die Behörden nachhaltig Gegensteuer geben? Immer wieder propagierte Rezepte lauten: Löhne erhöhen, Pensionierte reaktivieren, mehr Lehrkräfte ausbilden.

Tatsache ist aber auch: Im Vergleich über alle Branchen hinweg sind Teilzeit-Anstellungen bei Lehrpersonen überdurchschnittlich verbreitet (siehe Grafik). Das hat mitunter damit zu tun, dass an der Volksschule die Frauen deutlich in der Überzahl sind. Der wichtigeste Grund für die Wahl Teilzeitpensum ist gemäss einer Erhebung im Auftrag des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Rein rechnerisch gesehen gäbe es ein frappant einfaches Mittel, um die Mangellage in den Schulstuben zu beheben. Nachzulesen ist sie im Bildungsbericht 2018. Dort heisst es sinngemäss: Wenn die Teilzeit-Lehrpersonen ihr Pensum durchschnittlich um 10 Prozent aufstocken, ist das Problem vom Tisch. Stefan Wolter, Mitautor des Bildungsberichts und Professor für Bildungsökonomie an der Universität Bern, sagte schon vor drei Jahren gegenüber CH Media: «Wenn sich der Mangel verschärft, müssen die Kantone über ein Pflichtpensum diskutieren.» Ein Mindestpensum von 30 bis 50 Prozent sei vorstellbar.

Berner Erziehungsdirektorin: Es wäre das «Falscheste»

Ein schweizweites Novum wäre das nicht. Der Kanton Zürich hat - Ausnahmen sind erlaubt - ab dem Schuljahr 2015/16 ein Mindestpensum von 35 Prozent eingeführt. Das Volksschulamt hat bis jetzt keine Hinweise, dass dies Kündigungen provozierte. Der Berner Grossrat hingegen lehnte einen entsprechenden Vorstoss ab. Für Erziehungsdirektorin Christine Häsler (Grüne) wäre es das «Falscheste» gewesen, das pädagogische Personal in einen «engen Rahmen» zu zwingen. Viele Lehrpersonen mit kleinen Kindern blieben eher im Beruf, wenn sie mit kleinem Pensum weiterarbeiten könnten.

Einer, der sich intensiv mit bildungspolitischen Themen auseinandersetzt, ist Carl Bossard. Der Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug glaubt nicht, dass ein Zwang zu höheren Pensen zielführend ist. «Wir müssen die Strukturen ändern, die künstlich konstruierte Komplexität abbauen, damit das Unterrichten wieder ins Zentrum rückt und so attraktiver wird», sagt er. Dann steige die Wahrscheinlichkeit, dass Lehrer und Lehrerinnen wieder mehr Zeit für ihre Kernarbeit im Klassenzimmer hätten. Viele sehnten sich nach gutem Unterricht, bei dem die Lehrperson die Aktivitäten und damit den Lernprozess ihrer Schüler steuern und strukturieren. Dieser Unterricht erweise sich gemäss dem Lernpsychologen Franz E. Weinert als besonders effizient. Der pädagogische Mainstream freilich fliesst in eine andere Richtung: Angesagt sind beispielsweise Gruppenarbeiten und selbstorganisiertes Lernen.

Bossard führt die «Flucht in die Teilzeit», wie er es nennt, auf die Reformkaskade in den letzten Jahrzehnten und die damit verbundene «Entwertung» des Lehrerberufs zurück. So verstärke etwa die Integration ganz unterschiedlicher Kinder in die gleiche Klasse die Unruhe. Die Absprachen mit all den verschiedenen Betreuungspersonen verschlinge viel Zeit. Auch die zahlreichen Vorschriften von oben oder die dichten Vorgaben im Lehrplan 21 engten die Lehrpersonen ein. Das führe dazu, dass diese mit administrativen Arbeiten überlastet seien und die Arbeitszeit oft nicht ausreiche. Eine Erhebung im Auftrag des LCH bestätigt diese Einschätzung. Demnach reduzierte jede vierte Lehrperson ihr Pensum wegen der hohen beruflichen Belastung. Dumm nur: Gerade Lehrpersonen mit Teilzeitpensen leisten besonders viele Überstunden.

Lehrerverband fordert Entlastung für PH-Abgänger

Stephan Huber ist Professor und Leiter des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie der Pädagogischen Hochschule Zug. Auch er lehnt behördlich festgelegte Mindestpensen ab. «Unsere Befragungen im Rahmen des www.schul-barometer.net legen den Schluss nahe, dass in diesem Fall viele Lehrpersonen ganz aus dem Beruf aussteigen würden.» Er schlägt andere Massnahmen vor, um die hohe Belastung der Lehrkräfte zu drosseln - etwa die Entlastung von administrativen Arbeiten durch das Schulsekretariat. Eine Chance sieht Huber auch im digitalen Unterricht, dank dem die Kinder vermehrt selbstständig Lerninhalte erarbeiten. Als weitere Massnahme schwebt Huber vor, was die Privatwirtschaft schon seit Jahren vormacht: die Betreuungssituation der Kinder von Lehrpersonen zu verbessern für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

LCH-Zentralsekretärin Franziska Peterhans fordert derweil die Kantone dazu auf, bei den Löhnen nachzubessern, die Zahl der Lektionen zu überdenken und die Klassengrössen so zu gestalten, dass der anspruchsvolle integrative Unterricht möglich sei. Damit etwa PH-Abgänger und -Abgängerinnen länger im Schulzimmer bleiben, sollen sie im ersten Berufsjahr um zwei Lektionen entlastet werden, fordert der LCH. «Langfristig lohnt sich diese Investition», ist Peterhans überzeugt. «Bedenklich» findet sie den Crashkurs-Ansatz des Kantons Zürichs: «Dies wertet den Lehrerberuf ab». Peterhans ist froh, dass das Experiment befristet ist - fürs Erste wenigstens.

Weiterlesen - ein Beitrag von Kari Kälin / ch media erschienen am 18.06.2022 auf www.watson.ch

 

Berufs- und Familienverläufe: Vollzeit arbeitende Mütter sind am zufriedensten

In der Schweiz ist die häufigste berufliche Laufbahn von Frauen die Rückkehr zur Teilzeitarbeit nach der Mutterschaft. Diese Wahl erweist sich jedoch langfristig als nachteilig in Bezug auf das subjektive Wohlbefinden. Die neue Ausgabe der Reihe Social Change in Switzerland zeigt, dass jene Frauen nach dem Alter von 50 Jahren am zufriedensten sind, die Kinder haben und zu mehr als 90% weiterarbeiten. Für Männer sind ein stabiler Vollzeitjob und eine traditionelle Familie die besten Garanten für Wohlbefinden. Weiterlesen

Jede achte AHV- und jede zweite IV-Rente braucht Zuschuss

Im Jahr 2021 bezog jeder achte AHV-Bezüger eine Ergänzungsleistung (EL). Bei der IV-Rente war es jeder Zweite. Im Jahr 2021 sind 5,4 Milliarden Franken an Ergänzungsleistungen ausgezahlt worden. Diese gingen an jeden achten AHV-Rentner und jeden zweiten IV-Bezüger.

2021 hat jede oder jeder achte AHV-Rentnerin und -Rentner eine Ergänzungsleistung bezogen. Bei den IV-Renten war es jede oder jeder Zweite. Insgesamt bezogen Ende Jahr 345'000 Personen eine Ergänzungsleitung (EL). Die Ausgaben der EL beliefen sich auf 5,4 Milliarden Franken. Das ist gegenüber 2020 eine Zunahme um 1,4 Prozent, wie das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) am Donnerstag mitteilte. Damit lag der Ausgabenanstieg unter dem langjährigen Durchschnitt von 3 Prozent. Auch der Anstieg bei den Bezügerinnen und Bezügern lag mit 1 Prozent unter dem langjährigen Mittel von 2 Prozent. Die EL wird aus allgemeinen Steuermitteln von Bund und Kantonen finanziert.

Erstmals stärkerer Anstieg bei IV

Erstmals stieg die Zahl der IV-Rentnerinnen und -Rentner mit EL stärker als jene der AHV-Rentner. Das BSV erklärt das zum einen mit der covidbedingten Übersterblichkeit. Zum anderen sei die Anfang 2021 in Kraft getretene EL-Reform Schuld daran. Die neu eingeführte Vermögensschwelle beeinflusste den EL-Bezug auf der AHV-Seite stärker als IV-seitig. Dies, da die AHV-Rentnerinnen und -Rentner ein grösseres Vermögen hatten, als jene der IV. Auch die Eintritte in die EL waren deshalb bei der AHV geringer.

Durchschnittlich knapp über 100 Franken für zuhause Lebende

Ergänzungsleistungen zur AHV bezogen 224'000 Rentnerinnen und Rentner. 179'000 von ihnen lebten zuhause und erhielten durchschnittlich 1127 Franken im Monat. 45'000 wohnten in einem Heim bei EL von 3309 Franken monatlich. Bei der Invalidenversicherung betrug die Zahl der EL-Bezügerinnen und -Bezüger 121'000. Die 99'000 zuhause Lebenden erhielten 1318 Franken, die 22'000 im Heim 3771 Franken monatlich. Ergänzungsleistungen erhalten in der Schweiz lebende Personen mit einer AHV- oder IV-Rente, wenn ihr Einkommen die minimalen Lebenskosten nicht deckt. EL sind bedarfsabhängige Versicherungsleistungen, auf die ein rechtlicher Anspruch besteht.

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Revision des Sexualstrafrechts - Ständerat missachtet Meinung vieler Frauen-Organisationen

Ein Mann zwingt eine Frau zu Sex. Um sie gefügig zu machen, wendet er Gewalt an. Von diesem Fall geht das heutige Strafrecht aus, wenn es um Vergewaltigung geht. Wenn eine Frau lediglich «Nein» sagt, ohne sich körperlich zu wehren, reicht das nicht für eine Verurteilung. Das Sexualstrafrecht wurde das letzte Mal vor dreissig Jahren revidiert. Sex gegen den Willen der Frau wurde damals als Kavaliersdelikt angesehen. Die Revision des Sexualstrafrechts ist überfällig. Darin war sich der Ständerat einig. Über das Wie gingen die Meinung aber auseinander.

Auf jeden Fall eine Verbesserung

Der Ständerat hat heute zwei wesentlichen Verbesserungen zugestimmt:

  • Der Straftatbestand des sexuellen Übergriffs wird geschlechtsunabhängig werden. Bis jetzt war im Gesetz nur die Frau als Opfer erwähnt.
  • Wenn das Opfer künftig Nein sagt, sich der Täter aber über dieses Nein hinwegsetzt, gilt das als Vergewaltigung. Auch wenn vom Täter keine Gewalt angewendet wird.

Frauenorganisationen nicht einverstanden

Eine Minderheit im Ständerat war mit der sogenannten «Nein-heisst-Nein»-Regelung nicht einverstanden. Sie plädierte – und mit ihnen Amnesty International und diverse Frauenorganisationen – für die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung. Sie argumentieren, die Anforderungen seien zu hoch, weil ein Opfer nicht immer nein sagen könne. Denn Opfer fallen manchmal in eine Schockstarre, eine physiologische Reaktion auf eine akute Bedrohung: Das Opfer kann weder Nein noch Ja sagen, sondern verharrt in einer starren Position. Der Ständerat kritisierte bei der «Nur-Ja-ist-Ja-Lösung», dass diese zu neuen Problemen führen würde. Aus einer explizit geäusserten Zustimmung könne im Verlauf des Kontakts auch eine nicht mehr geäusserte Ablehnung werden. Ausserdem könne der Beweis einer Zustimmung praktisch nicht erbracht werden. Hingegen sei ein Nein klar. Es sei praxisnaher und transparenter.

Nationalrat könnte anders stimmen 

Gut möglich, dass sich der Nationalrat anders entscheidet und die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung bevorzugt. Der Nationalrat ist in gesellschaftlichen Fragen progressiver unterwegs als der Ständerat. Der Nationalrat ist nicht nur jünger und weiblicher. Wenn die FDP- und Mitte-Frauen geschlossen mit der Linken und der GLP stimmen, würde die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Variante mit 110 zu 90 Stimmen durchkommen. Doch egal, wie sich das Parlament letztlich entscheidet, das Grundproblem bleibt: Einer Vergewaltigung wohnen in den meisten Fällen keine Zeugen bei. Es bleibt Aussage gegen Aussage. Und wenn einem Täter die Schuld nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, erfolgt ein Freispruch. Für die Frauenorganisationen wäre die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung trotzdem ein Erfolg. Laut ihnen ist es für die Opfer ein massgeblicher Unterschied, ob es zum Freispruch kommt, weil sie sich angeblich zu wenig gewehrt haben oder weil es Aussage gegen Aussage ist und in einem Rechtsstaat das Prinzip in dubio pro reo gilt. Einen solchen Freispruch könnten Opfer besser akzeptieren. Zudem wäre bei der «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung die Botschaft eine andere: Eine Frau soll nicht gezwungen sein, sich zu verteidigen, sondern sie muss einer sexuellen Handlung zustimmen. (Der Ständerat hat noch keine Schlussabstimmung zur Vorlage gemacht.)

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 08.06.2022 auf www.srf.ch

Kita-Initiative

Damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelingt, braucht es genügend Kitas und Tagesschulen. Doch diese fehlen in der Schweiz! Die von Travail.Suisse unterstützte Kita-Initiative will Eltern mehr bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen und den Mitarbeitenden in der Betreuung bessere Arbeitsbedingungen ermöglichen.

Am 1. Februar 2023 ist Schluss mit der Förderung der Kita- und Tagesschulplätze durch den Bund, weil das vom Parlament mehrmals befristete Impulsprogramm am 31. Januar 2023 ausläuft. Es wurden schon mehrere Anläufe diskutiert, um rechtzeitig eine Anschlusslösung zu finden. Alle Vorschläge – auch ein von Travail.Suisse eingebrachter Vorstoss – wurden bisher jedoch abgelehnt.

Kita-Gesetz im Parlament noch nicht geboren 

Die zuständige Kommission des Nationalrates nimmt nun einen erneuten Anlauf für ein Nachfolgegesetz. Die Arbeiten benötigen aber mehr Zeit, weshalb die Kommission vorschlägt, das Impulsprogramm bis Ende 2024 weiterzuführen. Der Nationalrat wird in der laufenden Sommersession darüber beraten. Der Erfolg des Impulsprogramms ist in vielen Gemeinden und Städten sichtbar: Ohne die zusätzlichen Mittel im Umfang von insgesamt 430 Millionen Franken wären in den letzten 19 Jahren nicht 68 500 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen worden. Das ist gut investiertes Geld: Studien zeigen, dass jeder in Kitas investierte Franken der Allgemeinheit durchschnittlich 3 bis 4 Franken und der öffentlichen Hand zwischen 1.60 und 1.70 Franken einbringt.

Wichtig für Familien und Gleichstellung

Die heutige Generation der Eltern ist gut ausgebildet und erwerbstätig. Studien zeigen, dass mit der Geburt des ersten Kindes, die Eltern – meist die Muttern – ihr Erwerbspensum reduzieren oder sich sogar ganz aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Für die Gleichstellung der Geschlechter braucht es mehr Plätze in Kitas und Tagesschulen. Der Bedarf der Schweizer Wirtschaft an gut ausgebildeten Fachkräften unterstreicht diese Forderung. Mit der Kita-Initiative soll der Druck für ein flächendeckendes und bezahlbares Kita- und Tagesschul-Angebot auf die Politik erhöht werden. Travail.Suisse unterstützt die Volksinitiative aus voller Überzeugung und ist dem Initiativbündnis beigetreten.

Wichtige Forderungen der Kita-Initiative

Die Initiative fordert Folgendes: Sie bringt für jedes Kind einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Sie fordert von Bund und Kantonen ein ausreichendes, bedarfsgerechtes und qualitativ gutes Angebot für die Kinderbetreuung ab Ende Mutterschaftsurlaub bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit. Dabei sollen künftig die Kosten für die Eltern maximal 10% ihres Einkommens betragen dürfen. Damit dies nicht zulasten des Personals geht und weil die Qualität der Kinderbetreuung eindeutig mit guten Arbeitsbedingungen zusammenhängt, fordert die Initiative eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen für das Betreuungspersonal. Die konkrete Umsetzung wird dabei nicht vorgegeben – wie es sich für eine Volksinitiative gehört. Die Zielsetzung ist aber klar: Die familienergänzende Kinderbetreuung soll in der ganzen Schweiz zu einem Service-public-Angebot werden. Für die Arbeitnehmenden, für die Gleichstellung, für die Wirtschaft, für die Gesellschaft und die Chancengerechtigkeit: Die Kita-Initiative ist nötig.

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