Familienpolitik aus den 50er Jahren

Der Bundesrat will keinen Beitrag an günstige Kita-Plätze liefern. Ein Faustschlag ins Gesicht all jener, die sich für Gleichstellung einsetzen.

Die Schweiz ist mental in der Nachkriegszeit stehen geblieben. Zumindest in der Familienpolitik. Das heutige System ist darauf angelegt, dass der Mann arbeitet und die Frau zu Hause nach den Kindern schaut. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Gerade mal jedes fünfte Paar mit Kindern lebt heute nach diesem Modell. Heisst: Vier Fünftel teilen sich die Arbeit anders auf. Fakt ist aber auch: Bei jenen Paaren, bei denen beide arbeiten, ist die Erwerbsarbeit ungleich aufgeteilt. Meist arbeitet der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit. Das mag mit dem verbreiteten traditionellen Rollenbild zu tun haben. Doch es ist eben auch eine Folge des aktuellen Systems. Dieses setzt keinerlei Anreize, dass sich Mann und Frau zu gleichen Teilen um die Kinder kümmern.

Vielmehr wird steuerlich belohnt, wenn der Mann zu hundert Prozent und die Frau gar nicht oder in kleinem Pensum arbeitet. Auch Kitaplätze sind so teuer, dass sich bei zwei Kindern eine Erhöhung des Arbeitspensums oftmals gar nicht lohnt. Dabei sind Kitas heutzutage Teil der staatlichen Infrastruktur – so wie Schulen oder Strassen. Viele europäische Länder haben das erkannt. In der Schweiz hingegen torpediert der Bundesrat eine Vorlage, die eine Vergünstigung der teuren Kitaplätze zum Zweck hat. Argument: die «angespannte finanzielle Situation».

Das ist ein Faustschlag ins Gesicht all jener, die sich für die Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt einsetzen. Denn so lange Arbeitnehmer damit rechnen müssen, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes gar nicht oder mit Kleinstpensen zurückkehren – so lange haben sie keinen Anreiz, junge Frauen einzustellen oder gar zu fördern. Derselbe Bundesrat, der die Frauen aufruft, ihre Pensen zu erhöhen, sabotiert nun exakt diese Bemühungen. Die hohen Kitakosten sind nur ein Puzzleteil der fehlgeleiteten Schweizer Familienpolitik. Denn Kinder sind keine Privatsache, wie es von bürgerlicher Seite so gerne heisst. Sie sind, im heutigen System, Frauensache: Diese sind es, die sich um die Kinder kümmern und beruflich zurückstecken. Das zeigt sich exemplarisch am Fehlen einer Elternzeit.

Der Mutterschaftsurlaub bedeutet ja: Die Frau kümmert sich um das Kind, damit der Vater so schnell wie möglich zurück ins Büro kann. Doch der Mutter hält niemand den Rücken frei, wenn sie wieder arbeiten möchte. Die Konsequenz davon: Die Mutter bleibt zu Hause – und der Vater lernt nie, sich alleine um sein eigenes Kind zu kümmern. Dementsprechend wenige Paare sorgen gemeinsam für die gemeinsam gezeugten Kinder.

Weiterlesen - ein Beitrag von Camilla Alabor erschienen am 19.02.2023 auf www.blick.ch

Gerichtsurteil | Der Mann hat besser verhandelt? Die Frau soll trotzdem gleich viel verdienen

Ein Entscheid des deutschen Bundesarbeitsgerichts zu Equal Pay dürfte weitreichende Auswirkungen haben. Auch in der Schweiz gilt das Gleichstellungsgesetz vor Vertragsfreiheit. Eine Frau klagte gegen ihren Ex-Arbeitgeber. Die Firma zahlte ihrem Kollegen mit gleicher Qualifikation für dieselbe Arbeit mehr Lohn. Der Mann habe beim Lohn besser verhandelt. Das deutsche Bundesarbeitsgericht sprach der Frau Lohnnachzahlungen zu.

Frauen steht das gleiche Gehalt wie Männern zu, sie dürfen bei gleicher Leistung und gleicher Qualifikation lohnmässig nicht diskriminiert werden. Das ist gesetzlich und in der Verfassung so vorgeschrieben, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland. Nun hat das deutsche Bundesarbeitsgericht ein Grundsatzurteil für Equal Pay gefällt, wie deutsche Medien berichten. Eine Frau klagte gegen ihren Ex-Arbeitgeber, der einem Kollegen mit gleicher Qualifikation für dieselbe Arbeit 1000 Euro mehr bezahlte. Die Firma begründete dies mit der besseren Lohnverhandlung des Mannes und bezog sich auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit. Doch das liess das Bundesarbeitsgericht nicht durchgehen und kippte die Entscheidungen zweier untergeordneter Gerichte, die dem Arbeitgeber recht gaben. Die unterschiedliche Bezahlung begründe die Vermutung der Diskriminierung wegen des Geschlechts, urteilte die Richterin.

«Männer und Frauen sind endlich gleichberechtigt»

Das Gericht sprach Klägerin Susanne Dumas 14’000 Euro entgangenen Lohn und 2000 Euro Entschädigung zu. «Seit 1949 steht es im Grundgesetz, heute ist es endlich in der Arbeitswelt angekommen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt», sagte Dumas in einem Statement. Die Auswirkungen sind weitreichend. Denn wenn nun ein Arbeitnehmer mehr Lohn fordert, muss die Bezahlung von Arbeitnehmerinnen mit gleicher Qualifikation im selben Masse steigen. Ist das nicht der Fall, können sie ebenfalls vor Gericht ziehen und sich an diesem Urteil orientieren.

Verhandeln rechtfertigt auch in der Schweiz keine Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau

In der Schweiz ist die Rechtslage vergleichbar, sagt Roger Rudolph, Experte für Arbeitsrecht und Professor an der Uni Zürich, zu 20 Minuten. «Mindestens auf längere Frist kann eine ungleiche Entlohnung von Frau und Mann nicht mit dem besseren Verhandeln eines Arbeitnehmers gerechtfertigt werden», so Rudolph. Nach einer begrenzten Zeit von etwa einem Jahr müsse die Lohndifferenz eingeebnet werden. Auch für Arbeitsrechtsspezialist und Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert von der Arbeitsrechtskanzlei Humbert Heinzen Lerch ist die Lohnverhandlung keine Begründung für den höheren Lohn bei gleicher Voraussetzung. «Untersuchungen zeigen, dass Männer sich oft besser verkaufen können, aber ein höherer Lohn wäre bei gleicher Leistung und gleicher Qualifikation trotzdem klar diskriminierend», so Humbert. Dann könnte man auch in der Schweiz eine Klage wegen Lohndiskriminierung erheben, sagt Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, zu 20 Minuten. «Nicht in jedem Betrieb gibt es aber für jede Frau einen Mann mit identischen lohnrelevanten Merkmalen zur Bestimmung des Vergleichslohns. Sei es, dass sie nicht gleich alt sind, nicht über die gleiche Anzahl von Dienstjahren verfügen oder sich bei den Arbeitspensen und den Funktionen unterscheiden», so Lützelschwab. Grundsätzlich sei es wichtig, dass man sich gut auf Bewerbungsgespräche vorbereite und auf die eigenen Stärken hinweise.

Weiterlesen - ein Beitrag von Fabian Pöschl erschienen am 18.02.2023 auf www.20min.ch

Er führt die beliebteste Firma der Schweiz

250 Firmen – aber eine schwingt obenaus. Welche das ist und wo deine Firma rangiert, erfährst du im grossen Ranking der besten Arbeitgeber.

Nicht nur gehören ihre Produkte zu den Lieblingen der Schweizerinnen und Schweizer, jetzt erhält sie erneut die Auszeichnung als beste Arbeitgeberin: die Firma Zweifel Pomy-Chips AG. «Wir freuen uns ausserordentlich, zum zweiten Mal in Folge die Auszeichnung zum besten Arbeitgeber entgegennehmen zu dürfen», so der CEO Christoph Zweifel. «Es macht mich persönlich enorm stolz, dieses Unternehmen führen zu dürfen.» Zweimal nacheinander zuoberst – das ist eine einmalige Leistung. Doch was braucht es, um es überhaupt unter die besten Arbeitgeber zu schaffen? Welche Firmenstrukturen überzeugen, und was gilt zwischenmenschlich?

Rang
 

Arbeitgeber

Score    


Rang
Vorjahr

Branche


1. Zweifel 8,96 1 Herstellung von Lebens- und Genussmitteln
2. Schindler 8,70 2 Maschinen- und Anlagebau
3. Rolex 8,63 4 Uhren/Schmuck
4. Breitling 8,56 5 Uhren/Schmuck
5. Microsoft Schweiz 8,41 7 Internet, Telekommunikation, IT
6. Schweizerische Südostbahnen 8,33 28 Verkehr und Logistik
7. EPFL Eidg. Technische Hochschule Lausanne   8,28 47 Bildung und Forschung
8. Geberit 8,27 13 Herstellung und Verarbeitung von Werk- und Baustoffen
9. Roche 8,25 40 Chemie und Pharma
10. Apple Schweiz 8,20 38 Einzelhandel

 

 

Die turbulenten Jahre der Pandemie hoben innert kürzester Zeit bestehende Prozesse aus ihren Fugen – schnelle Anpassungen und grosse Bereitschaft von allen Seiten war gefragt. Letztes Jahr galt es dann, das neue Miteinander zu definieren und wieder Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Dabei scheint es, dass zeitweise das Miteinander litt.

Respekt ist grossgeschrieben

Aus den Gesprächen mit den besten Arbeitgebern kristallisierte sich heraus, dass sie alle noch mehr Wert auf die Kultur des Respekts legen. Der Hintergrund ist, dass die Arbeit vor dem Bildschirm die Kommunikation erschwert. Während Missverständnisse bei einem Besuch am Arbeitsplatz innert Minuten ausgeräumt werden, dauern Diskussionen per E-Mail zumeist länger. Eine Firma, die dieses Problem früh erkannte, ist Geberit. Sie geht schwierige Situationen denn auch pragmatisch an und hört erst mal beiden Seiten genau zu. Denn Probleme seien oft Folgen von zu wenig klaren Aussagen und entsprechend deeskalierend wirke ein persönliches Gespräch. Auch die in den Top Ten vertretene EPFL – das französischsprachige Pendant der ETH – ist stolz auf die familiäre Kultur und das Miteinander, das sie trotz der Vielzahl von Abteilungen und Internationalitäten aufweist. Das funktioniere aber nur, weil das gegenseitige Verständnis gefördert und aufgebaut wird.

Mitarbeitende im Zentrum

Auch Christoph Zweifel verortet in der Kultur einen Schlüssel zum erneuten Erfolg: «Im Zentrum unseres Erfolgs stehen unsere Mitarbeitenden. Sie alle sorgen für bleibende und genussvolle Erlebnisse, indem sie gemeinsam mit viel Freude und Begeisterung alles für die besten Chips und Snacks tun. Unsere gelebten Unternehmenswerte spielen dabei eine zentrale Rolle – sie bilden die Basis für unsere erfolgreiche Zusammenarbeit.» Was Zweifel Pomy-Chips zusätzlich besonders hoch attestiert wurde, ist das ausgewogene Verhältnis zwischen Belastung und Freiraum. Denn die Pandemie erinnerte viele daran, wie wichtig ihnen die Familie ist, und verstärkte den Wunsch nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Entsprechend gilt für alle Arbeitgeber: Fokus auf die Mitarbeitenden und deren persönliche Anliegen – denn am Schluss sind es sie, die die Firma tragen.

Weiterlesen - ein Beitrag von Tina Fischer («Handelszeitung») erschienen am 16.02.2023 auf www.blick.ch

«Ab einem gewissen Einkommen lohnt es sich kaum, mehr zu arbeiten»

Auch mit Doppelverdienst sind Vicky und Ivan finanziell am Limit. Auch der Mittelstand müsse immer stärker aufs Geld schauen, sagen Experten. Obwohl sie ein Einkommen von 8000 Franken haben, leben Vicky und Ivan von Monat zu Monat. Das liegt auch am Schweizer Steuer- und Subventionssystem. «Ab einem gewissen Einkommen lohnt es sich oft kaum, mehr zu arbeiten», heisst es bei Avenir Suisse. 20 Minuten hat anhand zweier Beispielfamilien nachgerechnet: Familie 1 verdient 8000 Franken, Familie 2 6000 Franken. Von einem Mehrverdienst von 2000 Franken gibt Familie 1 fast 800 Franken gleich wieder ab. «Dass eine vierköpfige Familie mit monatlich 8000 Franken Probleme hat, überrascht mich nicht», sagt Urban Hodel vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB.

«Trotz 8500 Franken Einkommen müssen wir von Monat zu Monat leben», sagen Vicky (32) und ihr Mann Ivan (32). Das Paar hat zwei kleine Kinder und rechnet in der neusten 20-Minuten-Reportage vor, warum es für sie trotz Doppelverdienst finanziell eng ist (siehe Video). Ein Grund dafür ist das Schweizer Steuer- und Subventionssystem: «Ab einem gewissen Einkommen lohnt es sich oft kaum, mehr zu arbeiten», sagt Patrick Leisibach von Avenir Suisse. «Denn viele mittelständische Familien geraten in eine höhere Steuerprogression und profitieren wegen ihres Einkommens weniger von staatlicher Unterstützung.»20 Minuten hat mit zwei Beispielfamilien nachgerechnet, wie gross der Unterschied wirklich ist. Beide bestehen aus einem verheirateten Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, leben in der Stadt Zürich und arbeiten gemeinsam 140 Prozent.

Steuern

Familie 1 hat ein Monatseinkommen von rund 8000 Franken netto, Familie 2 kommt auf einen Verdienst von 6000 Franken. Laut Steuerexperte Markus Stoll vom VZ Vermögenszentrum ergibt das mit den gängigen Abzügen ein steuerbares Einkommen von ungefähr 57'000 Franken für Familie 1 und rund 36'000 Franken für Familie 2. Beide haben ein Vermögen von 50'000 Franken. In der Stadt Zürich bezahlt Familie 1 laut dem Steuerrechner des Kantons damit 4057 Franken Steuern. Monatlich ergibt das einen Betrag von 338 Franken. Familie 2 bezahlt rund 1574 Franken Steuern jährlich. Pro Monat sind das 131 Franken.

Krankenkasse

In der Stadt Zürich beträgt die Durchschnittsprämie für Erwachsene über 26 Jahre 533 Franken monatlich, für Kinder sind es 133 Franken. Für eine vierköpfige Familie ergeben sich also monatliche Ausgaben von 1372 Franken. Laut dem Rechner der Sozialversicherungsanstalt Zürich haben beide Familien einen Anspruch auf eine Prämienverbilligung. Familie 1 zahlt dann 446 Franken monatlich, Familie 2 282 Franken.

Kinderbetreuung

Beide Familien geben ihre Kinder an zwei Tagen pro Woche in die Kita, an einem Tag schauen die Grosseltern. Pro Woche ergibt das vier Kita-Tage. In Zürich sind Kita-Plätze stark subventioniert. Während Familie 1 laut dem Kita-Rechner der Stadt 27 Prozent der Kosten selbst bezahlen muss, sind es bei Familie 2 sechs Prozent. Damit zahlt die Familie 1 659 Franken monatlich für die Kinderbetreuung, bei Familie 2 sind es 243 Franken.

Gesamt

Familie 1 hat mit 8000 Franken netto ein Drittel mehr zur Verfügung als Familie 2 mit 6000 Franken. Am Ende des Monats gibt Erstere aber 787 Franken mehr für Steuern, Kita und Krankenkasse aus als Familie 2. Sie verliert damit knapp 40 Prozent ihres Zusatzverdienstes von 2000 Franken gleich wieder. Das entspricht fast drei ganzen Arbeitstagen. «In der Schweiz wird rege umverteilt», sagt Patrick Leisibach von Avenir Suisse. Gerade die unteren Einkommensschichten bekommen viel Unterstützung: «Sie stehen dann am Schluss ähnlich da wie die, die mehr verdienen.» Hier gebe es ein Dilemma: «Einerseits will man umverteilen. Andererseits soll es Anreize geben, mehr zu arbeiten und davon zu profitieren.»

Mittelstand muss Gürtel enger schnallen

Verschiedene Experten und Expertinnen sehen Vicky und Ivan nicht als Einzelfall: «Dass eine vierköpfige Familie mit monatlich 8000 Franken Probleme hat, überrascht mich nicht», sagt etwa Urban Hodel vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB. Bernadette Ritter Nigg von der Frauenzentrale Zürich zeigt ein Beispiel aus ihrer Budgetberatung: «Eine Familie mit zwei Kindern mit einem Nettoeinkommen von rund 8000 Franken ist Ende Monat sogar rund 1000 Franken im Defizit.» Ein grosser Ausgabenpunkt sei die Kinderbetreuung von zwei Tagen, die rund 2000 Franken ausmacht: «Die Kitas müssten meiner Meinung nach gratis sein.» Laut Philipp Frei, dem Geschäftsführer von Budgetberatung Schweiz, müssen auch Leute mit einem guten Lohn den Gürtel enger schnallen: «Man verbindet gewisse Sachen mit dem Mittelstand (siehe Box), wie zum Beispiel Ferien, ein Eigenheim und ein Auto.» Von dieser Vorstellung müsse man wegkommen. Die Realität sei heute, dass man als Familie mit 8000 Franken nicht auf Rosen gebettet sei. 

Wo liegt der Mittelstand?

Laut dem Bundesamt für Statistik zählen alle zum Mittelstand, die zwischen 70 und 150 Prozent des Medianlohns verdienen. Der lag 2020 in der Schweiz bei 6665 Franken. Damit gehörten in diesem Jahr alle Schweizerinnen und Schweizer mit einem Einkommen zwischen 4665 und 9997 Franken zum Mittelstand. 

Weiterlesen - ein Beitrag von Noah Knüsel, Helena Müller und Simona Ritter erschienen am 15.02.2023 auf www.20min.ch

Bundesrat lehnt Bundesbeitrag für tiefere Kinderbetreuungskosten der Eltern grundsätzlich ab

Der Bundesrat will die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie fördern. Er lehnt aber einen Bundesbeitrag, mit dem die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung gesenkt werden sollen, grundsätzlich ab. Zum einen ist die familienergänzende Kinderbetreuung in der Kompetenz der Kantone und auch in der Verantwortlichkeit der Arbeitgeber, zum anderen erlaubt die angespannte finanzielle Situation des Bundes kein weiteres Engagement. Zudem würde dieser Bundesbeitrag bei anderen wichtigen Aufgaben des Bundes zu Einsparungen führen. Wenn das Parlament auf die Vorlage eintritt, müssen für den Bundesrat gewisse Bedingungen erfüllt sein, insbesondere eine stärkere finanzielle Beteiligung der Kantone. Finanzhilfen des Bundes an die Kantone für die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der frühen Förderung von Kindern lehnt der Bundesrat klar ab. Die zuständige Kommission des Nationalrats hatte eine Gesetzesvorlage mit den genannten Förderinstrumenten ausgearbeitet, zu welcher der Bundesrat in seiner Sitzung vom 15. Februar 2023 seine Stellungnahme abgegeben hat. Das neue Gesetz soll das Impulsprogramm zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung ablösen, das Ende 2024 nach rund 22 Jahren ausläuft.

Die parlamentarische Initiative «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» (21.403) der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) verlangt, dass das bis Ende 2024 befristete Impulsprogramm des Bundes zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch eine neue, dauerhafte Form der Unterstützung abgelöst wird. Die WBK-N hat die Gesetzesvorlage im Dezember 2022 verabschiedet.

Kommissionsvorschläge für familienergänzende Kinderbetreuung und frühe Förderung von Kindern

Das Ziel der Vorlage ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung zu fördern und für Kinder im Vorschulalter die Chancengerechtigkeit zu verbessern. Gemäss Kommissionsentwurf soll sich der Bund künftig dauerhaft an den Kosten der Eltern für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung beteiligen. Für jedes Kind soll von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit ein Rechtsanspruch auf einen Bundesbeitrag bestehen, sofern es institutionell familienergänzend betreut wird. Der Bundesbeitrag würde sich während der ersten vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes auf 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes belaufen. Danach würde der Bundesrat als Anreiz den Bundesbeitrag pro Kanton in Abhängigkeit von dessen finanziellem Engagement für die familienergänzende Kinderbetreuung festlegen. Gemäss Vorlage würden sich die Kosten des Bundes im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes auf rund 710 Millionen Franken belaufen. Zum anderen könnte der Bund, ebenfalls als Förderanreiz, den Kantonen auf der Grundlage von Programmvereinbarungen globale Finanzhilfen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für die Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern gewähren. Für die erste vierjährige Vertragsperiode beantragt die WBK-N dafür einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 224 Millionen Franken.

Für ein reduziertes, vereinfachtes System mit tieferen Kosten

Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die familienergänzende Kinderbetreuung weiterhin gefördert werden müsse und dass die öffentliche Hand die Eltern finanziell stärker entlasten soll. Er lehnt aber einen Bundesbeitrag, mit dem die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung gesenkt werden sollen, grundsätzlich ab. Zum einen ist die familienergänzende Kinderbetreuung in der Kompetenz der Kantone und auch in der Verantwortlichkeit der Arbeitgeber, zum anderen erlaubt die angespannte finanzielle Situation des Bundes kein weiteres Engagement. Zudem würde dieser Bundesbeitrag bei anderen wichtigen Aufgaben des Bundes zu Einsparungen führen. Wenn das Parlament auf die Vorlage eintritt, müssen für den Bundesrat gewisse Bedingungen erfüllt sein, insbesondere eine stärkere finanzielle Beteiligung der Kantone.

Der Bundesrat würde sich in diesem Fall für einen Bundesbeitrag in der Höhe von maximal 10 statt 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes aussprechen. Ein Bundesbeitrag in der Höhe von 10 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes würde zu Kosten von rund 360 Millionen Franken im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes führen. Da in erster Linie die Kantone und Gemeinden für die familienergänzende Kinderbetreuung zuständig sind, erachtet der Bundesrat eine namhafte finanzielle Beteiligung der Kantone an der Finanzierung des Bundesbeitrags als angezeigt. Er schlägt eine Gegenfinanzierung mittels einer Senkung des Kantonsanteils an der direkten Bundessteuer um 0.7 Prozentpunkte vor. Dies würde zu Mehreinnahmen des Bundes von rund 200 Millionen Franken jährlich führen, wodurch sich die Nettobelastung des Bundes im Einführungsjahr noch auf 160 Millionen Franken belaufen würde. Steigt die Nettobelastung des Bundes auf über 200 Millionen, soll die Gegenfinanzierung durch die Kantone durch eine weitere Senkung des Kantonalanteils einmalig angepasst werden. Diese Form der Gegenfinanzierung ist nach Auffassung des Bundesrates auch deshalb gerechtfertigt, weil die Kantone mit einem bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebot von Standortvorteilen profitieren.

Der Bundesrat befürwortet einen gleichbleibenden Prozentsatz und einen einheitlichen Bundesbeitrag in der ganzen Schweiz, damit alle Eltern unabhängig von ihrem Wohnkanton gleichbehandelt werden. Zudem hegt er Zweifel an der Wirksamkeit des für die Kantone vorgesehenen Anreiz-Systems. Der Bundesrat vertritt im Weiteren die Ansicht, dass der Bundesbeitrag nur jenen Eltern gewährt werden soll, die einer Erwerbstätigkeit ausüben oder eine Ausbildung absolvieren, und die ihre Kinder aus diesen Gründen nicht selber betreuen können. Diese Anspruchsvoraussetzung entspricht den Zielsetzungen der Vorlage: Sie soll zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels beitragen. Schliesslich beantragt der Bundesrat, den Bundesbeitrag nur bis zum Ende der Primarstufe (8P Harmos) auszurichten, so dass die Eltern gezielt in der Phase entlastet werden, in der sie besonders hohe Betreuungskosten tragen.

Gegen Programmvereinbarungen

Der Bundesrat ruft in Erinnerung, dass in erster Linie die Kantone und Gemeinden für die familienergänzende Kinderbetreuung und die frühe Förderung von Kindern verantwortlich sind. Deshalb lehnt er es ab, dass sich der Bund zur Hälfte an den kantonalen Kosten für die Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der frühen Förderung von Kindern beteiligt, so wie es die WBK-N mit den Programmvereinbarungen vorsah. Er fordert die Kantone und Gemeinden auf, ihre Verantwortung ebenfalls wahrzunehmen, und so rasch als möglich ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot bereitzustellen.

Der Bund hat die Kantone in den vergangenen Jahrzehnten über das Impulsprogramm zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung und mit Beiträgen an die kantonalen Programme zum Aufbau und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendpolitik unterstützt. Das 2003 geschaffene Impulsprogramm läuft Ende 2024 aus.

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