Was bewegt die Familien heute?

Hat man vergessen, dass die Familie, in ihrer Vielfalt, der Kitt unserer Gesellschaft ist? Dies war in allen Perioden der Geschichte und in allen Zivilisationen der Fall. Wir wünschen uns eine stärkere Förderung der Familienpolitik durch alle politischen Entscheidungsträger:innen von allen Parteien, denn die Werte der (Inter-)Solidarität und des Teilens werden innerhalb einer Familie sicherlich am besten verteidigt.

Im Frühjahr 2023 präsentierten Pro Familia Schweiz und Pax die Resultate des ersten Schweizer Familienbarometers. Im Rahmen dieser Umfrage wurden mehr als 2000 Familien aus allen Landesteilen zu aktuellen Themen rund um das Familienleben befragt. Im Folgenden präsentieren wir Ihnen die wichtigsten Ergebnisse.

1. Finanzen 

Die Resultate zeigen, dass die Lebenswelt von Familien in der Schweiz stark von finanziellen Themen geprägt ist. Vor allem Krankenkassenprämien beschäftigen die Familien und die Situation ist heute mit der massiven Erhöhung der Prämien noch akuter geworden. Auch von der Politik wünschen sich Familien einen Fokus auf Themen, die zur Verbesserung ihrer finanziellen Situation beitragen. So zeigt sich ebenfalls: Mehr finanzielle Ressourcen werden mit Abstand als der wichtigste Hebel zur Verbesserung des Familienlebens erachtet. Im Detail zeigt das Schweizer Familienbarometer folgende Resultate:

Bei vier von zehn Familien (41 Prozent) reicht das Haushaltseinkommen nur knapp für das gemeinsame Familienleben, weitere 6 Prozent kommen mit ihrem Einkommen nicht über die Runden.

53 Prozent der Familien verzichteten aus Kostengründen schon einmal auf eine medizinische oder therapeutische Behandlung. Eine Minderheit fühlt sich finanziell ausreichend abgesichert.

2. Familienleben, Familien und Beruf

Mehr als drei Viertel der Familien in der Schweiz sind mit ihrem derzeitigen Familienleben zufrieden, aber mehr als zwei Drittel (68 Prozent) rechnen über die kommenden drei Jahre mit einer Verschlechterung.

Die Mehrheit der Familien in der Schweiz ist mit der Vereinbarkeit vom Berufs- und Familienleben und den von den Arbeitgebenden dafür ergriffenen Massnahmen zufrieden. Noch verbessern liesse sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem durch mehr Flexibilität bei der Einteilung der Arbeitszeit, der Nutzung von Homeoffice und der Möglichkeit von Teilzeitarbeit. Externe Kinderbetreuung liesse sich vor allem durch tiefere Kosten und weitere Plätze verbessern.

3. Vorsorge

Mit Blick auf die Vorsorge und finanzielle Absicherung zeigt sich, dass sich bei sämtlichen Risikoarten ein erheblicher Teil der Familien in der Schweiz unzureichend abgesichert fühlt.

4. Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub

Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub werden als zu kurz erachtet. Jeweils ungefähr zwei Drittel der Familien sind der Meinung, dass die Dauer des Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaubs zu kurz ist.

Die Ergebnisse des ersten Schweizer Familienbarometers liefern eine wertvolle Grundlage für familienpolitische Debatten und können helfen, die Rahmenbedingungen für Familien in der Schweiz auf verschiedenen Stufen zu stärken, besonders in Bezug auf die fehlenden Ressourcen von vielen Familien.

5. Bildung und Familie

Wie «Fokus Mein Kind» zeigt, hat jedes Kind ab der Geburt ein enormes Potenzial, welches gefördert werden muss. Zum Beispiel können alle kleinen Kinder, ohne viel Schwierigkeiten, zweisprachig werden, wenn z. B. die Eltern zwei verschiedene Sprachen sprechen oder wenn die Schule einen bilingualen Unterricht, wie im Kanton Neuenburg ab vier Jahren, einführt. In diesem Sinne ist auch die Frühförderung ein wichtiger Bestandteil der Familienpolitik, welche auf genügend Ressourcen angewiesen ist.

Text Dr. Philippe Gnaegi, Direktor Pro Familia Schweiz, Autor des Buches «Familienpolitik in der Schweiz», 2022, Schulthess Verlag

Weiterlesen - ein Beitrag von Smart Media Agency erschienen am 18.11.2023 auf Fokus Swiss Online

5,5% der Kinder in der Schweiz mussten im Jahr 2021 aus finanziellen Gründen auf kostenpflichtige Freizeitbeschäftigungen verzichten

Im Jahr 2021 waren über 6% der Kinder unter 16 Jahren in der Schweiz von mindestens 3 kinderspezifischen Deprivationen betroffen. Die Eltern von über 97% der Kinder schätzen deren allgemeinen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut ein und bei 6,9% der Kinder wurde angegeben, dass diese aufgrund von gesundheitlichen Problemen in ihren Alltagsaktivitäten eingeschränkt sind. Dies sind einige Ergebnisse des Moduls «Deprivation und Gesundheit der Kinder» der Erhebung über die Einkommen und Lebensbedingungen (SILC) des Bundesamtes für Statistik (BFS). 

Im Jahr 2021 waren in der Schweiz 6,4% der Kinder unter 16 Jahren in mindestens drei von 17 Bereichen depriviert, die für Kinder als besonders wichtig gelten. Dazu gehören neben passenden Kleidern und Schuhen und ausgewogenen Mahlzeiten beispielsweise auch der Besitz von altersgerechten Büchern, Spielsachen für drinnen und draussen, sowie die Möglichkeit, Freunde einzuladen. So können beispielsweise 6,1% der Kinder nicht eine Woche Ferien weg von zu Hause machen, und 5,5% können nicht regelmässig an einer kostenpflichtigen Freizeitbeschäftigung ausser Haus teilnehmen. Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsniveau, niedrigem Einkommen sowie Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Kinder, die in Haushalten von Alleinerziehenden leben, sind deutlich häufiger von kinderspezifischer Deprivation betroffen.

Im europäischen Vergleich ist die kinderspezifische Deprivation in der Schweiz gering

Mit 13,0% liegt die Quote der kinderspezifischen Deprivation im europäischen Durchschnitt mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz. Von den Schweizer Nachbarländern hat nur Deutschland (6,0%) eine niedrigere Deprivationsrate. Die europäischen Länder mit den tiefsten Quoten sind Slowenien (2,9%), Schweden (3,5%) und Finnland (3,7%), die höchsten Quoten haben Rumänien (42,5%) und Bulgarien (36,5%).

Entbehrungen von Pflegeleistungen der Kinder und Erwachsenen

In der Schweiz verzichten deutlich weniger Personen aus finanziellen Gründen auf medizinische Pflegeleistungen als auf zahnärztlichen Pflegeleistungen, dies gilt sowohl für Kinder als auch für Personen ab 16 Jahren.

Im europäischen Vergleich ist die Entbehrung von zahnärztlichen Pflegeleistungen bei Kindern in der Schweiz weniger verbreitet (1,5% vs. 4,4% in der EU), bei Personen ab 16 Jahren liegt die Schweiz jedoch im EU-Durchschnitt (2,5% vs. 2,6% in der EU). Jedoch sind, wie in den meisten europäischen Ländern, armutsgefährdete Kinder deutlich häufiger von zahnärztlichen Entbehrungen betroffen, als nicht armutsgefährdete Kinder. Entbehrungen von medizinischen Pflegeleistungen kommen bei Kindern in der Schweiz fast nicht vor. 

Leichter Einfluss des Haushaltseinkommens auf den eingeschätzten Gesundheitszustand der Kinder 

Mit 97,4% liegt der Anteil Kinder in der Schweiz, deren allgemeiner Gesundheitszustand von den Eltern als gut oder sehr gut eingeschätzt wird, leicht über dem Durchschnitt der europäischen Länder (96,5%). In der Schweiz zeigt sich, im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern kein deutlicher Einfluss des Einkommens auf den Gesundheitszustand der Kinder. In der Schweiz wurde der Gesundheitszustand bei 99,4% der Kinder, die in einem Haushalt mit hohem Einkommen (5. Einkommensquintil) lebten, als gut oder sehr gut eingeschätzt, dies war auch der Fall bei 97.7% der Kinder in Haushalten mit geringem Einkommen (1. Einkommensquintil). Auf europäischer Ebene war der Unterschied zwischen dem ersten und fünften Einkommensquintil in Portugal am grössten (rund 16 Prozentpunkte), in Griechenland, Kroatien und Italien war dagegen kaum oder kein Unterschied ersichtlich.

In Alltagstätigkeiten aufgrund gesundheitlicher Probleme eingeschränkt, wurden in der Schweiz 6.9% der Kinder eingeschätzt. Bei 5,9% handelt es sich dabei um nicht starke, bei 1,0% um starke Einschränkungen. In den europäischen Ländern reichte der Anteil der Kinder mit nicht starker Einschränkung von 7,9% in Finnland bis hin zum geringsten Anteil in Griechenland (0,5%).

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Generation Z will nicht bei den Eltern ausziehen

Heute bleiben Junge länger im Haus von Mama und Papa – einerseits, weil sie sich gut mit ihren Eltern verstehen. Andererseits, weil Ausziehen zu teuer ist. Ausziehen ist für die Jungen weniger wichtig als für frühere Generationen. Viele verstehen sich gut mit ihren Eltern oder müssen wegen Homeoffice nicht zügeln. Aber: Viele haben aus finanziellen Gründen auch gar nicht die Möglichkeit, auszuziehen.

Mit 18 von Zuhause ausziehen ist nicht mehr – die Generation Z bleibt gerne bei den Eltern wohnen. Weil es ihnen dort so gut gefällt. «Es ist heute weniger wichtig für junge Menschen auszuziehen», sagt Jugendforscher Simon Schnetzer zu Nau.ch. «Viele verstehen sich sehr gut mit ihren Eltern. Egal ob Ausbildung, Studium oder Beruf, vieles geht mittlerweile vom Homeoffice aus und erfordert keinen Umzug mehr.» Doch die gute Beziehung zu Mami und Papi oder die Homeoffice-Möglichkeiten sind nicht die einzigen Gründe. Inflation, Mieterhöhungen und hohe Stromkosten machen das Wohnen – und das Leben – teuer.

Junge machen aus Kostengründen Fernstudium

Das spüren auch die Jungen. «Die finanzielle Situation ist sowohl bei Jugendlichen als auch bei ihren Eltern häufiger angespannt. Dadurch fällt der Schritt zur eigenen Wohnung in Anbetracht der hohen Mietpreise deutlich schwerer», sagt Schnetzer. Eine Umfrage des Bundesamts für Statistik im Jahr 2020 ergab: Im Durchschnitt hatten 35 Prozent der Studierenden Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Die grössten Probleme hatten Studierende an den grössten Hochschulen und in den Stadtzentren. «Seit 2020 hat sich die Lage für die Studierenden stark verschlechtert», sagt Nadège Widmer vom Studierendenverband VSS. «Der Kompromiss zur eigenen Studentenwohnung ist mittlerweile, dass Studierende sich ein Zimmer teilen», sagt Jugendforscher Schnetzer. «Oder dass sie lieber ein Fernstudium annehmen, weil es günstiger ist.» Budgetberater Philipp Frei ergänzt: «Die steigenden Kosten für Miete und Strom treffen junge Menschen, die oft noch ein kleines Budget haben, besonders. Zudem sind günstige Wohnungen aktuell knapp – das macht den Schritt in die erste eigene Wohnung natürlich schwieriger.»

Eltern greifen Kids bei Wohnung finanziell unter die Arme

Und er glaubt, dass Eltern heute ihre erwachsenen Kinder häufiger finanziell unterstützen als noch vor fünf Jahren. «Wir haben relativ viele Anfragen, ob und in welchem Umfang Eltern ihre Kinder bei einer eigenen Wohnung unterstützen sollen. Eine Statistik dazu haben wir nicht, aber gefühlt nimmt es zu.» Auch Schnetzer vermutet: «Dass diejenigen, die doch ausziehen, aus Familien kommen, die es sich leisten können, ihre Kinder trotz Krisenzeiten zu unterstützen.» Aus eigener Leistung heraus sei es heute deutlich schwerer als vor fünf Jahren, sich eine Wohnung leisten zu können. Ausnahmen wie Social-Media-Sternchen oder erfolgreiche Startupper gebe es, doch das sei nicht die Regel. Für den Jugendforscher steht fest, dass die Entwicklung für die jungen Menschen Nachteile punkto Selbständigkeit hat: «Ausziehen ist eine wichtige Schule des Lebens und eine super Gelegenheit, um den Horizont zu erweitern. Das bleibt immer mehr Jugendlichen verwehrt.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Rowena Goebel erschienen am 13.11.2023 auf www.nau.ch

Pausen bei Schwangerschaft

Eine schwangere Frau ist verunsichert, ob sie ihre Pausen auf unbezahlte Arbeitszeit machen muss.

Eine Schwangerschaft verläuft nicht immer beschwerdefrei. Das merkt derzeit auch eine schwangere Frau, die im Büro arbeitet. Ihr Arzt hat sie wegen Beschwerden zu 50 Prozent krankgeschrieben. Sie arbeitet täglich noch knapp vier Stunden. Ihr Arbeitgeber ist nun der Meinung, dass sie keinen Anspruch mehr auf Pausen habe – sie arbeite ja schliesslich schon weniger. Die Frau möchte vom SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» wissen: «Ist das gesetzlich so erlaubt? Darf mir mein Arbeitgeber Pausen auf bezahlte Arbeitszeit verweigern?» 

Die Rechtslage im Überblick:

Darf der Arbeitgeber einer Schwangeren Pausen auf bezahlte Arbeitszeit verweigern?

Schwangere Frauen, die bei der Arbeit den ganzen Tag stehen oder herumlaufen, dürfen mindestens alle zwei Stunden zehn Minuten Pause machen – und zwar während der bezahlten Arbeitszeit. Diese Regelung ist für eine im Büro tätige Frau nicht anwendbar. Die schwangere Frau kann jedoch von Arbeiten befreit werden, wenn diese für sie subjektiv beschwerlich sind. Zudem hat sie das Recht, der Arbeit fernzubleiben oder diese zu verlassen.

Welche Rechte haben schwangere Frauen bei der Arbeit?

  • Arbeitszeit: Schwangere Frauen dürfen nicht mehr als neun Stunden arbeiten und keine Überstunden leisten.
  • Ruhezeit und Pausen: Hauptsächlich stehend arbeitende Schwangere haben ab dem vierten Schwangerschaftsmonat das Recht auf eine tägliche Ruhezeit von zwölf Stunden. Zudem haben sie nach jeder zweiten Stunde eine Kurzpause von zehn Minuten zugute – zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen Pausen.
  • Unwohlsein: Schwangere Frauen dürfen der Arbeit fernbleiben oder die Arbeit verlassen, wenn sie sich nicht wohl fühlen.
  • Abend- und Nachtarbeit: Schwangere Frauen dürfen ab der achten Woche vor der Niederkunft zwischen 20 und 6 Uhr nicht beschäftigt werden.
  • Beschwerliche und gefährliche Arbeiten: Schwangere Frauen dürfen nicht zu beschwerlichen oder gefährlichen Arbeiten herangezogen werden.

Scheidungskinder – jetzt kommt die Fifty-Fifty-Regel

Der Nationalrat will, dass Kinder bei beiden Elternteilen gleich viel Zeit verbringen. Das sei im Interesse des Kindes. Doch nicht alle sehen das so. Trennungskinder sollen gleich viel Zeit bei Vater und Mutter verbringen. Der Nationalrat will das ins Gesetz schreiben. Das hat der Nationalrat im Herbst mit sehr deutlicher Mehrheit entschieden. Bald geht der Vorstoss in den Ständerat. Widerstand kommt aus der SP und vom Bundesrat. Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden, sagen sie.

Wenn Eltern sich trennen, leben Kinder heute oft bei der Mutter und haben Besuchszeiten beim Vater. Der Nationalrat will das ändern. Er hat Ende September eine Motion des Tessiner Mitte-Nationalrats Marco Romano überwiesen. Sie verlangt vom Bundesrat, die alternierende Obhut als neue Norm ins Gesetz zu schreiben. Dabei betreuen Vater und Mutter die Kinder zu gleichen oder annähernd gleichen Teilen. Die Kinder pendeln zwischen Vater und Mutter und leben mit beiden den Alltag. 

Laut Bundesgerichts-Entscheid von Ende 2020 müsste dies heute schon der Fall sein. Die alleinige Obhut sei nur anzuordnen, wenn konkrete Gründe gegen die alternierende Obhut sprächen, befand das höchste Gericht. Doch untere Gerichtsinstanzen halten sich nicht immer daran. Und so haben manche Väter das Nachsehen, weil sie bei der Kesb oder vor dem Bezirksgericht abblitzen.

«Individuelle Eltern-Interessen müssen hinten anstehen»

«Kinder haben das Recht, mit Vater und Mutter und der jeweiligen Verwandtschaft gleich viel Zeit zu verbringen. Dieses Recht der Kinder geht den individuellen Elterninteressen vor», sagt Marco Romano, der per Ende Jahr zurücktritt. Deshalb müsse die alternierende Obhut als Regelfall ins Zivilgesetzbuch, wie vor zehn Jahren das gemeinsame Sorgerecht. Gleichstellungspolitisch sei das ein logischer Schritt, doch er werde genau von jenen Kreisen bekämpft, die Gleichstellung von Mann und Frau sonst förderten, sagt der Tessiner. «Auf linker Seite herrscht die fixe Idee vor, dass die Mutter Kinder besser betreuen kann als der Vater. Das macht mir Bauchweh.» Auch gebe es Richter, welche die alternierende Obhut einem Vater verweigerten mit der Aufforderung, er könne ja vor das Bundesgericht gehen. Eine Gesetzesänderung würde dem Streit vieler Eltern entgegenwirken, glaubt Romano. «Gerichtsverfahren, die einzig darauf aus sind, einen Elternteil zu delegitimieren und ihn zum Wochenend- und Zahlvater zu machen, würden überflüssig.» 

Der Vorstoss ist vom Nationalrat mit 112 zu 42 Stimmen sehr deutlich angenommen worden, bald behandelt ihn die Ständeratskommission. Am meisten Widerstand kommt von der SP. Yvonne Feri, SP-Nationalrätin und Präsidentin von Kindesschutz Schweiz, begründet: «Das zuständige Gericht oder die Kesb müssen alle Umstände abwägen, bevor sie eine Entscheidung über die alternierende Obhut treffen.» Jeder Fall müsse einzeln geprüft werden und das Kind habe das Recht auf Mitsprache. Ausserdem müssten sich die Väter schon während der Beziehung mehr an der Kindererziehung beteiligen, dann werde ihnen das auch nach der Trennung zugestanden. Es brauche ein Umdenken aller, dann komme die alternierende Obhut automatisch.

Auch der Bundesrat ist dagegen. In der Verwaltung laufen derzeit mehrere Projekte zur besseren Umsetzung der alternierenden Obhut. So wird etwa geprüft, ob die unteren Gerichtsinstanzen die neue Praxis des Bundesgerichts auch tatsächlich umsetzen. Lösungen seien unterwegs, versprach Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider Ende September im Nationalrat – brachte damit den Rat aber nicht von einem Ja zur Motion ab.

Kinderanwältin ist skeptisch

Eine Kinderanwältin aus dem Raum Zürich, die nicht namentlich zitiert werden möchte, ist in Bezug auf das Vorhaben gespalten. «Gut finde ich, dass für die Eltern Klarheit geschaffen und die Bundesgerichtspraxis einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird.» Andererseits verlange man von Kindern etwas, das Erwachsene nie wollen würden: «Wer will schon jede Woche die Koffer packen und den Wohnort wechseln?» Das Betreuungsmodell könne vorteilhaft sein, aber nicht für alle Kinder. «Ich kenne einen Fall, in dem das Kind vom Vater aus eine Stunde Schulweg hat.» 

Weiterlesen - ein Beitrag von Claudia Blumer erschienen am 8.11.2023 auf www.20min.ch

Immer mehr Schweizer nerven sich über Kinder

Kinderfreie Zonen sorgen für hitzige Diskussionen. Sind sie Ausdruck von einer zunehmend familienfeindlichen Haltung? Ein Experte ordnet ein. Es gibt auch in der Schweiz Hotels und Beizen, die keine Kinder erlauben. Gleichzeitig ärgern sich Eltern immer wieder über familienfeindliche Haltungen. Ein Experte glaubt, dass die Leute intoleranter gegenüber «Störungen» geworden sind.

«Adults only» (Deutsch: Nur Erwachsene) – das Schlagwort sorgt in den letzten Jahren für Schlagzeilen. Immer wieder gibt es Berichte über Hotels, Restaurants und Airlines, die keine Kinder reinlassen. Gleichzeitig ärgern sich Eltern über das familienfeindliche Verhalten ihrer Mitmenschen. Zwei Beispiele: Ein Mami, das im Flugzeug nicht stillen darf. Und eine Familie, die in einer Beiz einen Lärm-Aufschlag für ihre Kinder bezahlen muss. Hinzu kommen Berichte über Menschen, die gerne Kinder hätten, aber von ihrem Umfeld dafür kritisiert werden: Es sei egoistisch, im Zeitalter des Klimawandels ein Baby zu bekommen.

Menschen nehmen Störungen durch Kids weniger hin

Soziologe Martin Hafen von der Hochschule Luzern sagt zu Nau.ch: «In den Medien ist eine eindeutige Zunahme von Berichten über eine kinder- und familienfeindliche Haltung festzustellen.» Als Grund dafür vermutet der dreifache Vater und Grossvater einerseits Faktoren wie den Klimawandel und den Ukraine-Krieg. «Diese Bedrohungen lösen Stress aus. Das reduziert die Gelassenheit und die Bereitschaft der Menschen, ‹Störungen› im Alltag hinzunehmen.» Das schreiende Kind der Sitznachbarn im Restaurant dürfte die einen oder anderen also mehr nerven als sonst. «Ich würde aber noch weiter gehen», sagt Hafen. Ihm zufolge seien die Menschen weniger bereit, sich auf andere einzulassen – wegen der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft. «Betroffen sind insbesondere Kinder mit ihrem Lärm und ihrer Bewegungsfreude.» Corona habe diese sinkende Toleranz nochmals beschleunigt. Ähnlich sieht das Soziologe François Höpflinger von der Universität Zürich. Er spricht von einer «zunehmenden strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern». Kinder machen einen immer kleineren Teil der Bevölkerung aus – «damit sinkt auch das Verständnis für sie», so Höpflinger. Das habe aber auch damit zu tun, dass Kindheit in erster Linie in geschlossenen Räumen wie Kitas stattfinde: «‹Freilaufende Kleinkinder› sind selten geworden.»

Kinderfrei liegt im Trend

Tatsächlich kommen kinderfreie Angebote heutzutage gut an: «Dass sich hier ein Trend zeigt, ist klar. Objektive Daten fehlen mir aber», sagt Konsumexperte Christian Fichter. «Es scheint, als hätten diese Anbieter mit dem Attribut ‹kinderfrei› eine Möglichkeit gefunden, sich von der Konkurrenz abzuheben. Und offenbar findet das auch ein Publikum.» Dafür gebe es auch gute Gründe: «Es gibt einfach Orte, wo sich Kinder langweilen oder wo sie stören. Und es gibt Menschen, die sich von ihnen gestört fühlen – das ist ihr gutes Recht», sagt der zweifache Vater.

Weniger Babys wegen Inflations- und Kriegs-Zukunftsängsten

In der Schweiz wurden 2022 deutlich weniger Babys geboren als im Vorjahr. Dass kinderfeindliche Haltungen der Hauptgrund dafür sind, glaubt Soziologe Hafen aber nicht. Vielmehr seien es die globalen Entwicklungen: «Die Kriege und insbesondere die ökologischen Probleme lösen Zukunftsängste aus. Das beeinflusst auch die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht.» Hafen kritisiert aber auch fehlende familienfreundliche Strukturen. Er erwarte vom Staat, Rahmenbedingungen bereitzustellen, damit alle eine Familie gründen können, die es wollen. «Immerhin sind die Kinder die Zukunft unserer Gesellschaft. Und die grösste Bereicherung, die man sich vorstellen kann.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Rowena Goebel erschienen am 04.11.2023 auf www.nau.ch