Wissenschaftliche Nachwuchsförderung: Weitere Massnahmen sind notwendig

Der Bundesrat hat am 27. März 2024 den Bericht «Für Chancengleichheit und die Förderung des akademischen Nachwuchses» gutgeheissen. Laut Bundesrat sind weitere Anstrengungen notwendig, um die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses weiter zu verbessern.

Der Bundesrat war vom Parlament mit dem gleichlautenden Postulat 22.3390 beauftragt worden, die aktuelle Situation des akademischen Nachwuchses an Schweizer Hochschulen bezüglich Prekarität und Gleichstellung sowie allfällige Massnahmen zu analysieren.

Der Bundesrat würdigt die Massnahmen, welche die Hochschulen, die Konferenz der Rektorinnen und Rektoren swissuniversities, der Schweizerische Nationalfonds (SNF) und die Schweizerische Hochschulkonferenz (SHK) ergriffen haben. Neben der Erhöhung des Anteils Tenure-Track-Professuren wurden mit einer Vielzahl von Massnahmen die Beschäftigungsbedingungen und Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert, frühe Selbständigkeit und zusätzliche Autonomie gefördert und Karrieremodelle zur Verbesserung von Übergängen und Durchlässigkeit weiterentwickelt. Dabei wurden auch Themen wie Chancengleichheit, Diversität, Inklusion und Arbeitskultur einbezogen.

Der Bundesrat hält gleichzeitig fest, dass weitere Anstrengungen notwendig sind, um die Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses, ganz besonders auch von Frauen, weiter zu verbessern. Bund und Kantone wollen im Rahmen der SHK zwei Massnahmen auf gesamtschweizerischer Ebene einleiten. Für die Förderperiode 2025-2028 plant die SHK, ein von swissuniversities koordiniertes Projekt im Umfang von maximal 20 Millionen Franken zu lancieren, mit dem an den universitären Hochschulen Aktionspläne zur Nachwuchsförderung weiterentwickelt und umgesetzt werden, spezifisch auch mit Blick auf die Postdoc-Phase. Für die Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen besteht die Zielsetzung in der weiteren Stärkung der Kooperationen mit universitären Hochschulen im 3. Zyklus (Phase Doktorat) und der Weiterentwicklung des doppelten Kompetenzprofils.

Als zweite Massnahme hat die SHK Ende 2023 Grundsätze für eine zeitgemässe Personal- und Anstellungspolitik des wissenschaftlichen Nachwuchses an universitären Hochschulen, eine konstruktive Arbeitskultur sowie eine frühzeitige Karriereplanung verabschiedet. Weitere diskutierte Massnahmen liegen in der Kompetenz der einzelnen Hochschulen und werden den dort zuständigen Akteuren zur näheren Prüfung empfohlen.

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Finanziell belastete Familien

BFS-Zahlen: Jede zehnte Familie sorgt sich Ende Monat ums Geld. Neue Zahlen des BFS zeigen die finanzielle Situation in der Schweiz. Es entsteht ein anderes Bild, als das «Familienbarometer» kürzlich gezeichnet hat.

Das Geld reicht nur mit Müh und Not bis zum Ende des Monats. In einer solchen Situation kann eine Parkbusse, eine unerwartete Arztrechnung oder Autoreparatur zu einem Loch in der Haushaltskasse führen. In der Schweiz haben 9.9 Prozent der Bevölkerung 2022 angegeben, dass sie (grosse) Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Das geht aus neuen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zur wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Schweiz hervor. Finanzielle Herausforderungen sehen besonders Ausländerinnen und Ausländer, Arbeitslose sowie Alleinerziehende. Bei den Paaren mit Kindern sind es wie bei der Gesamtbevölkerung 9.9 Prozent. Im Vergleich dazu zeichnete der vor rund zwei Wochen erschienene «Familienbarometer» ein anderes Bild. Demnach reicht für mehr als die Hälfte der Familien (52 Prozent) das Einkommen nur knapp oder gar nicht aus. So habe sich die finanzielle Situation der Familien im Vergleich zum Vorjahr verschärft, hiess es von der Organisation Pro Familia und dem Vorsorgeversicherer Pax.

Gründe für Unterschiede

Wie kommt es, dass die BFS-Zahlen und der Familienbarometer einen anderen Eindruck der finanziellen Situation der Familien in der Schweiz vermitteln? Politologe Michael Hermann hat sich die verschiedenen Resultate angeschaut. Beide Studien seien für ihn seriös, hätten aber einen unterschiedlichen Fokus. «Die Statistik des BFS fokussiert wirklich auf Armut, also auf Menschen, die zu wenig Geld haben. Das Familienbarometer fokussiert eher auf die normalen, kleineren Geldsorgen des Mittelstandes», sagt Hermann. Ein weiterer Unterschied sei der Zeitpunkt der Datenerhebung. Für SRF News hat sich auch Oliver Hümbelin, Professor für Sozialforschung an der Berner Fachhochschule, mit den beiden Studien auseinandergesetzt. Er sagt, dass sie sich nicht direkt vergleichen lassen würden. «Sie haben unterschiedliche Ziele und decken einen unterschiedlichen Zeithorizont ab.» Zudem würden sich die Fragen, die gestellt wurden, unterscheiden.

Verschobene Wahrnehmung

Das BFS hat seine Zahlen 2022 erhoben. Die Befragung des Familienbarometers fand hingegen im November 2023 statt. Dazwischen ist viel passiert: Die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine heizten die Inflation an, zudem stiegen die Krankenkassenprämien und die Mieten. «Alles zusammen hat dazu geführt, dass zumindest das subjektive Gefühl stark zugenommen hat, dass man sich nicht mehr alles leisten kann», sagt Politologe Hermann. Klar ist, dass eine Studie je nach Herausgeber auch einen Zweck hat. Pro Familia setzt sich für Familienthemen ein. «Mit solchen Studien machen Organisationen auf ihre Themen aufmerksam», stellt er fest. Dabei würden bewährte statistische Methoden genutzt und die Resultate seien an sich nicht politisch geprägt. Für Sozialforscher Hümbelin sei keine der beiden Studien besser als die andere. «Sie verfolgen unterschiedliche Ziele. Der Familienbarometer bietet eine Übersicht zu den verschiedenen Themen, die die Familien aktuell beschäftigen», sagt er. Wenn dagegen eine Einordnung der finanziellen Situation der Familien gewünscht sei, dann empfiehlt Hümbelin einen Blick auf die BFS-Zahlen.

Stellungnahme von Pro Familia

Pro Familia nimmt auf Anfrage schriftlich Stellung gegenüber SRF News. Die beiden Studien seien nicht vergleichbar. «Die Frage an Familien in unserer repräsentativen Umfrage war: ‹Reicht Ihr Haushaltseinkommen für das gemeinsame Familienleben insgesamt?› Circa die Hälfte der Familien sagt, ‹es reicht knapp›. Das bedeutet nicht, dass all diese Familien finanzielle Schwierigkeiten haben. Es bedeutet nur, dass ihr Familieneinkommen knapp ausreicht und dass unerwartete Ausgaben starke Folgen haben können. Diese Situation beschäftigt die Familien.»

Tagesschau, 26.03.2024, 19:30 Uhr;

Familienpolitik und Kinderwunsch Warum sinkt die Geburtenrate in Deutschland?

Die Geburtenrate in Deutschland ist deutlich zurückgegangen. Über die Gründe haben wir mit Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung gesprochen.

Stefan Troendle: Kinder kriegen heute kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung. Stimmt das?

Martin Bujard: Ist auf jeden Fall eine bewusste Entscheidung heutzutage. Also wer sich für Kinder entscheidet, meistens in einer Partnerschaft, müssen beide, wirklich auch Kinder wollen. Wenn auch nur einer von beiden es nicht möchte, dann wird verhütet, und dann werden keine Kinder geboren.

Stefan Troendle: Warum wollen denn deutsche Paare aktuell keine Kinder? Woran liegt das?

Martin Bujard: Sie wollen schon Kinder. Also wir erfragen mit dem Familienpanel FReDA den Kinderwunsch. Und der Kinderwunsch liegt im Durchschnitt bei den jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren bei 1,9 Kindern. Die meisten möchten Kinder. Die meisten möchten eigentlich auch zwei Kinder.

Cocooning-Effekt in der Corona-Pandemie

Stefan Troendle: Noch 2021 war die Geburtenrate so hoch wie seit den 1970er Jahren nicht mehr. Aber damals waren wir voll in der Corona-Pandemie, also auch eine Krise. Kamen die Kinder da wegen oder trotz Corona?

Martin Bujard: Der Anstieg, den wir hatten, den hatten wir eigentlich schon seit den 2010er-Jahren und der hat sehr viel mit dem Ausbau der Familienpolitik zu tun. Dadurch, dass Deutschland ein Kita-Angebot hatte und vom Halbtags-Schulsystem auf ein Ganztagsschulsystem umgestellt hat, war die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel leichter und gerade auch Akademikerinnen, die davor sehr oft kinderlos waren, haben danach mehr Kinder bekommen. Das ist der zentrale Grund, dass die Geburtenrate, die ja jahrzehntelang bei etwa 1,3 lag, dann auf 1,5 bis 1,6 wieder gestiegen ist. Ein anderer Grund war, dass der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund gestiegen ist. Und in der Pandemie, ganz zu Beginn, gab ein Mini-Mini-Geburtenanstieg, der ein Cocooning-Effekt war. Das heißt, ganz zu Beginn der Krise, im Lockdown, waren viele Paare weniger unterwegs, vielleicht weniger auf Feiern und Reisen, sondern vielleicht eher im Park und hatten vielleicht auch mehr Zeit, sich darüber zu unterhalten, und manche haben gemerkt, wie wichtig Familie ist. Ich nenne das einen Cocooning-Effekt. Das ist aber ein sehr, sehr kleiner Effekt. Und der war auch kurz, und im Endeffekt hat Corona sehr stark geschlaucht. Und als Corona dann vorbei war, ging es los mit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, also einem Krieg hier in Europa. Dann gab es die damit verbundenen ökonomischen Krisen, also Energiekrise und Inflation. Und der Klimawandel ist auch eine Krise. Das Zusammenspiel dieser Krisen ist schon recht ungewöhnlich, und das verunsichert junge Menschen, und solche Verunsicherung ist Gift für die Familienplanung.

Die Familienpolitik verunsichert Paare mit Kinderwunsch

Stefan Troendle: Jetzt läuft auch noch das Förderprogramm des Bundes für mehr Kita-Plätze im Sommer aus. Ob es weitergeht, ist noch nicht ganz klar. Aber Bundeswirtschaftsminister Lindner spricht in dem Zusammenhang sogar von Sozialleistungen. Was machen solche Nachrichten mit Paaren, die überlegen, eine Familie zu gründen?

Martin Bujard: Das verunsichert Paare auch. Dass Deutschland von einst das Schlusslicht in Europa sich in den letzten Jahrzehnten bei der Geburtenrate ins Mittelfeld bewegt hat, hat sehr viel damit zu tun, dass die Kitas ausgebaut wurden. In den letzten Jahren ist wieder eine Unsicherheit gekommen, weil einfach die Nachfrage nach Kita-Plätzen viel größer ist als das Angebot. Das heißt, viele Menschen erleben Kitas nicht als verlässlich, weil es dann doch mal ausfällt. Es gibt einen großen Fachkräftemangel. Und insofern wäre es empfehlenswert, besonders in den Kita-Ausbau weiter zu investieren in die Qualität von Kitas. Denn wenn Menschen und Familien lernen und die Erfahrung machen, dass die Kitas verlässlich sind, dass sie nicht ausfallen, dass sie auch Ganztagsangebote sind, wenn der Bedarf da ist und dass da auch wirklich hochwertige frühkindliche Bildung angeboten wird, dann gibt das Paaren mit Kinderwunsch Sicherheit - oder dass Paare, die vielleicht schon ein Kind haben, sich für ein weiteres Kind entscheiden.

Beruf und Familie müssen vereinbarer werden

Stefan Troendle: Was muss sich in der Familienpolitik generell ändern? Wie kommen wir aus dieser Nummer wieder raus?

Martin Bujard: Die Kita-Plätze sind schon der zentrale Faktor, der letztlich auch diesen Unterschied macht. Das ist schon das Wichtigste. Elterngeld ist auch etwas, was sehr hilfreich war und was seit 2007 nicht mehr erhöht worden ist. Und ein anderer Bereich, der hat natürlich etwas damit zu tun, wie auf dem Arbeitsmarkt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlebt wird. Werden Eltern bestraft dafür, wenn sie vielleicht mal temporär etwas reduziert arbeiten? Je stärker das der Fall ist, desto höher ist letztlich die Schwierigkeit für viele, einen Kinderwunsch umzusetzen. Das heißt, die meisten Mütter und Väter sowieso möchten auch erwerbstätig sein, wenn sie Eltern sind. Sie möchten aber auch Zeit haben für die Kinder in der Rushhour des Lebens. Da muss sich der Arbeitsmarkt stärker an Familien anpassen. Gegenwärtig ist es so, dass ich vor allem Familien an den Arbeitsmarkt anpassen.

Der Kinderwunsch wird aufgeschoben

Stefan Troendle: Aber aktuell gibt es nur 1,36 Kinder, wenn man jetzt die Statistik nimmt. Also woran liegt das?

Martin Bujard: Das liegt daran, dass viele den Kinderwunsch aufschieben. Die Menschen möchten Kinder haben, aber möchten, dass alle Rahmenbedingungen passen. Dazu ist erstmal ein guter Berufseinstieg notwendig, eine finanzielle Sicherheit. Wohnraum ist auch ein wichtiges Thema. Und wenn es dann so weit ist, dass alles passt, dann auch eine gewisse Sicherheit. Diesen starken Rückgang, den wir in den letzten zwei Jahren haben, der hat etwas mit diesen multiplen Krisen, die wir erleben, zu tun. Das verunsichert die Menschen, und dann wird der Kinderwunsch aufgeschoben.

Vorbild Skandinavien: Eine Kultur, die an Kindern ausgerichtet ist

Stefan Troendle: Was muss denn passieren, dass Kinder als was Positives, als was Normales gesehen werden und nicht als was, was dem Arbeitgeber potenziell wegen des Ausfalls der Mutter schadet?

Martin Bujard: Es ist schon vieles besser geworden, dadurch, dass die Kitas jetzt da sind und dass Mütter, wenn das Kind ein Jahr ist, sehr oft schon auf dem Arbeitsmarkt zurückkommen. Da hat sich schon vieles verbessert, aber es ist noch sehr viel Luft nach oben. Wenn man nach Skandinavien schaut, da ist es so, dass das Verständnis, dass man zu gewissen Zeiten, beispielsweise zu Abendessenzeiten, zu Hause ist mit den Kindern, viel verbreiteter. Man kann es auf den Punkt bringen: In Deutschland macht oft in vielen Branchen derjenige Karriere oder diejenige, der oder die abends um sieben oder um acht Uhr noch im Büro sind. In Dänemark oder Schweden werden diese Leute ein bisschen skeptisch betrachtet so von wegen: "Ach, hat der keine Familie? Hat der nichts Besseres zu tun abends? Das ist schon bisschen was Kulturelles, was da eine Rolle spielt. Aber man muss auch sagen, dass in Skandinavien die Geburtenraten auch gesunken sind. In den letzten paar Jahren ist das ein europaweites Phänomen. Und die Schweden und Dänen haben Geburtenraten von 1,4. Das heißt, wir müssen auf Europa schauen, und da ist der große Hebel, dass es einfach mehr Menschen geben muss, die sich für das dritte Kind entscheiden.

Faktencheck: Blutet der Mittelstand tatsächlich aus?

In der reichen Schweiz klagen alle über zu wenig Geld. Die Unzufriedenheit wächst. Drei Jahre Inflation und stagnierende Löhne: Das Leben ist teurer geworden, die Sorge um die Kaufkraft hat bis weit in den Mittelstand zugenommen. Wie gross die Unzufriedenheit ist, hat die klare Annahme der 13. AHV-Rente in der Volksabstimmung vom 3. März gezeigt. Jetzt bewegen die Resultate des Familienbarometers, einer Umfrage des Interessenverbandes Pro Familia und der Versicherung Pax die Gemüter.

«Familien in Not» und der «Mittelschicht droht die Armut» lauteten die Schlagzeilen. Am Freitag stritten Politikerinnen, Experten und Betroffene in der «Arena» des Schweizer Fernsehens über «Familien unter Druck». Am 9. Juni kommt die Prämienverbilligungsinitiative der SP zur Abstimmung. Vor der AHV-Initiative war noch nie eine linke Vorlage zum Ausbau des Sozialstaats an der Urne angenommen worden, doch in der aktuellen Stimmung hat der Sozialabbau gute Chancen.Zwei von drei Stimmberechtigten wollen die Prämienentlastungs-Initiative annehmen, wie eine Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» zeigt.

Die Einstellungen zur Umverteilung haben sich verändert, stellt Melanie Häner, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern fest. Deutlich weniger Menschen sehen die Schweiz heute noch als Mittelstandsgesellschaft. Das hat politische Folgen, glaubt Häner. «Denn Wahrnehmungen, nicht Daten, prägen die Einstellung gegenüber Umverteilung.»

Weiterlesen - ein Beitrag in der Aargauerzeitung vom 24.03.2024

So könnte es mit dem Eigenheim doch noch klappen

Weniger strenge Tragbarkeitsregeln, staatliche Bürgschaft oder mehr Stockwerkeigentum? Immer weniger Familien können sich ein Eigenheim leisten. Eine Studie prüft neue Lösungsansätze und erklärt, was sie taugen.

Der Traum vom Eigenheim ist für viele junge Familien ausgeträumt. Denn die Preise sind in grossen Teilen der Schweiz so hoch, dass sie sich 30- bis 40-Jährige kaum noch leisten können. Im Kanton Zürich beispielsweise kosten Eigenheime aktuell ein Viertel mehr als 2018. Das zeigt eine Analyse der Zürcher Kantonalbank (ZKB). In der Stadt Zürich zogen die Preise seit 2018 gar um 35 Prozent an. Das hat dazu geführt, dass mehr als jedes vierte Einfamilienhaus in der Stadt inzwischen über 3 Millionen Franken kostet – in Meilen sogar mehr als jedes dritte. Das Problem: «Die Einkommen sind bei weitem nicht so stark gestiegen wie die Häuserpreise», sagt Ursina Kubli (43), leitende Immobilienexpertin der ZKB. 

Lösungsansatz mit Haken

Die Preise in Zürich gehören zwar zu den höchsten der Schweiz, doch die steigenden Häuserpreise machen auch vielen anderen Regionen der Schweiz zu schaffen. Immer wieder wird deshalb der Ruf nach neuen Lösungsansätzen laut – beispielsweise nach weniger strengen Tragbarkeitsregeln. Banken stellen bei der Eigenheimfinanzierung jeweils die Bedingung, dass Hauskäufer Zinskosten von 5 Prozent tragen können müssen, auch wenn die aktuellen Hypothekarkosten deutlich tiefer sind. Würde der sogenannte kalkulatorische Zinssatz gesenkt, könnten sich mehr junge Familien ein Haus leisten, heisst es. Stimmt das? Gemäss Berechnungen der ZKB würde von einer Senkung des kalkulatorischen Zinssatzes vor allem die ältere Generation profitieren. «Für junge Käufer sind die fehlenden Eigenmittel das grosse Problem», sagt Kubli. Daran ändert sich nichts, wenn der kalkulatorische Zinssatz sinkt. 

Staatliche Bürgschaft für Junge

Eine weitere, viel diskutierte Massnahme ist die «Starthilfe-Initiative» des Hauseigentümerverbands HEV. Diese soll Wohneigentum dank staatlicher Förderung wieder für eine breitere Bevölkerung möglich machen. Sie sieht vor, dass der Kanton für bis zu 15 Prozent des Eigenkapitals bürgen soll. Interessierte müssten dann statt 20 Prozent nur noch 5 Prozent Eigenkapital mitbringen. Doch auch dieser Vorstoss hat einen Haken: Die höhere Belehnung setzt ein hohes Einkommen voraus. «Die Bürgschaft käme insbesondere jungen Familien zugute, die noch nicht viel Erspartes, dafür aber ein hohes Salär nachweisen können», sagt Kubli. Dazu gehören beispielsweise Ärzte oder Juristen, die nach einer langen Ausbildung mit einem ansprechenden Lohn ins Berufsleben starten. «Auch das ist folglich keine Lösung für die breite Masse», so Kubli. 

Mehr Stockwerkeigentum

Die Immobilien-Expertin hält noch einen dritten Vorschlag bereit: «Wenn wir die Eigentumsquote in der Schweiz erhöhen wollen, brauchen wir mehr Stockwerkeigentum», sagt Kubli. Die Einführung von Stockwerkeigentum war laut der Analyse der ZKB der grösste Türöffner zu Wohneigentum. Denn es ist deutlich erschwinglicher als ein Einfamilienhaus. Doch auch hier gibt es einen Wermutstropfen: So dringend die Suche nach Lösungen für finanzierbares Wohneigentum ist, die eigentliche Ursache – nämlich die strukturelle Unterversorgung mit Eigenheimen – wird so nicht gelöst. «Mehr Stockwerkeigentum wäre wünschenswert – doch es müsste erst gebaut werden», so Kubli.

Weiterlesen - ein Beitrag von Dorothea Vollenweider erschienen am 26.03.2024 auf blick.ch

Geld, Glück und Sinn: warum die Geburtenrate in der Schweiz und in Deutschland immer weiter fällt

Reicht eine familienfreundliche Politik nicht mehr aus, um den Trend zu weniger Kindern zu stoppen? Die Soziologie-Professorin Katja Rost erklärt, wie veränderte Lebenswünsche und Werte den Kinderwunsch prägen.

Kinder zu bekommen, war früher eine Selbstverständlichkeit. Heute ist das nicht mehr der Fall. Eltern zu werden – oder auch nicht –, ist ein individueller Entscheid geworden. Die Folge: Während die Geburtenrate in der Schweiz 1964 pro Frau noch bei 2,7 Kindern lag, ist sie inzwischen auf rekordtiefe 1,39 Kinder gefallen. In Deutschland zeigt sich der gleiche Trend: Die Fertilitätsrate sank 2022 auf 1,46 Kinder pro Frau; bei 7,5 Prozent weniger Geburten als im Vorjahr. Kinder zu haben, ist teuer. Oft wird deshalb beklagt, dass eine unzureichende Familienpolitik schuld an der Entwicklung sei. Die Ursachen für den Trend zu weniger Kindern liegen aber tiefer, wie Katja Rost, Soziologieprofessorin und Co-Direktorin des universitären Forschungsschwerpunkts Menschliche Fortpflanzung an der Universität Zürich, im Gespräch feststellt. Das hat Folgen für die Familienpolitik. Wenn es vor allem veränderte Lebenswünsche und Prioritäten sind, die die Menschen davon abhalten, Nachwuchs zu bekommen, dann greift die Forderung nach ausgebauten Krippensubventionen zu kurz.

Zeit schinden mit Egg-Freezing

Die Frage, warum wir weniger Kinder bekommen, beantwortet die Soziologin Rost denn auch zunächst nicht aus einer wirtschaftlichen Optik, sondern aus einer gesellschaftlichen. Bei vielen Erwachsenen spiele das Sicherheitsdenken eine grosse Rolle. «Es hindert uns daran, unsere Kinder früh zu bekommen.» Man wolle alles haben: den richtigen Partner, eine etablierte Karriere, eine schöne Wohnung und finanzielle Reserven. Der Zeitpunkt zum Kinderkriegen wird immer weiter nach hinten verschoben und scheint nie der richtige zu sein.

Unter ihren Studentinnen, so erzählt Rost, sei das Egg-Freezing, das Einfrieren der Eier, ein grosses Thema. Mit der biologischen Uhr im Nacken versucht man, sich mehr Zeit zu organisieren. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Sowohl die gewollte wie auch die ungewollte Kinderlosigkeit habe zugenommen, so die Soziologieprofessorin. Rost, die selbst mit 37 Jahren einen Sohn bekommen hat und in einer Patchworkfamilie lebt, empfiehlt, die Kinder früher zu bekommen. Der ideale Zeitpunkt sei während des Studiums oder der Ausbildung, argumentiert sie. Wer sich beim nächtlichen Clubbing etwas einschränke, habe in dieser Lebensphase viel Zeit und Energie. Wenn dann im Alter von 30 Jahren die Zeit komme, in der die Karriere richtig aufgebaut werden müsse, seien die Kinder schon nicht mehr ganz klein.

Die Fehler der eigenen Mütter vermeiden

Hinter der Kinderlosigkeit beziehungsweise dem Wunsch, nur ein Kind zu haben, steckt aber oft auch ein bewusster Entscheid. «Kinder sind eine wahnsinnige Verpflichtung.» Die Vorstellung von einem erfüllten Leben, einer Karriere, von Unabhängigkeit könne dadurch infrage gestellt werden. Soziologen sprechen von «Optionsverengungen»: Der Entscheid für etwas schliesst anderes aus. Heute fragen sich viele, warum sie einen Weg wählen sollten, der ihr bisher gutes Leben gefährdet. Eine grosse Rolle beim Geburtenrückgang spielt auch die bessere Ausbildung der Frauen. Gerade hochqualifizierte Frauen haben häufiger keine oder weniger Kinder, wie es im deutschen Demografieportal heisst. Früher war der Karriereverzicht für viele Frauen eine normative Vorgabe. Heute wird genauer abgewogen, ob sich die Einschränkungen, die Kinder und Familie mit sich bringen, tatsächlich lohnen beziehungsweise wie sich das Glück steigern lässt.

Kinder: vom ökonomischen Wert zur Belastung

Geprägt wird diese Überlegung auch von einer veränderten wirtschaftlichen Logik. Bis etwa zum Zweiten Weltkrieg «lohnte» es sich, Kinder zu haben. Ihnen oblag es, ihre Eltern im Alter zu versorgen. Mit dem Ausbau des Sozialstaates wurde diese Pflicht zunehmend obsolet. «Damit wurden Kinder von einem ökonomischen Wert zu einer ökonomischen Belastung», stellt Rost fest. Die Professorin ist allerdings weit davon entfernt, die Sicht auf Kinder auf die Belastungen zu verengen. Als Soziologin sagt sie: «Kinder haben nicht nur einen psychologischen und sozialen Wert, sondern auch einen transzendentalen Wert.» Als Mutter sagt sie: «Für mich ist es das Beste in meinem Leben.» Mit Kindern erfahren viele einen tieferen Sinn. Ihr persönlich habe das Elternsein in Lebenskrisen einen Halt gegeben, den sie sonst bei weitem nicht gehabt hätte.

Er kümmert sich um den Rasenmäher, sie um das Kind

Gesellschaftlich beobachtet die Soziologin einige Trends dennoch kritisch. Dazu zählt sie eine Retraditionalisierung durch die Familie. Sobald Kinder da sind, verstärken sich bei vielen Paaren traditionelle Rollenmuster. Er kümmert sich um den Rasenmäher, sie um das Kind. Wenn nicht beide die gleichen Erwartungen hätten, könnten so leicht Konflikte entstehen. Junge Frauen, die das erahnen, setzen sich dem in einer Welt voller Wahlmöglichkeiten womöglich nicht unnötig aus. Gerade weil die Familiengründung heute ihren verbindlichen Normcharakter verloren hat, sind die Glückserwartungen an sie gestiegen. «Die Romantisierung der Familie hat zugenommen», sagt Rost. Man wünsche und erwarte, dass alles harmonisch verlaufe. Familie und Arbeit, so der Anspruch, müssen gut miteinander vereinbar sein. Abschreckend wirkt dabei, dass die jungen Erwachsenen in ihrem Umfeld wahrnehmen, wie aus dem Ideal der beabsichtigten Work-Life-Balance in der Realität oft eine harte Doppelbelastung wird. Sie sehen die Konflikte bis hin zu Trennungen und zweifeln, dass sich tatsächlich alles idealtypisch verbinden lässt. «Es wird als zu viel erlebt», sagt Rost.

DDR: Neid auf die Hausfrauen

Die Soziologin macht in diesem Zusammenhang auf häufig nicht hinterfragte Wertehaltungen aufmerksam. Frauen, die nicht erwerbstätig sind, gelten heute als rückständig. Rost, die in Ostdeutschland aufwuchs, hat dazu ein ambivalentes Verhältnis. «In der DDR mussten alle voll arbeiten.» Wegen der Auswanderung in den Westen habe es zu wenig Arbeitskräfte gegeben. Auf Frauen konnte deshalb nicht verzichtet werden. «Wir in der DDR blickten mit Neid und Unverständnis auf das Modell der Hausfrau.» Der heutige Fokus auf Frauenkarrieren komme ihr manchmal vor wie eine DDR 2.0, witzelt Rost. Er entspringe, so meint sie, eben nicht nur einer feministischen Agenda, sondern sei auch dem Druck aus der Wirtschaft geschuldet, den Fachkräftemangel abzufedern.

Aus der Alterspyramide wird ein Pilz

Was passiert, wenn sich der Trend zur Individualisierung fortsetzt, die Geburtenrate weiter sinkt und die Zahl der Kinder in Zukunft noch mehr abnimmt? Grundsätzlich, so könnte man argumentieren, ist eine kleinere Bevölkerung kein Problem, ökologisch sogar ein Vorteil. Für Rost ist das dennoch keine schöne Vorstellung. Sie denkt dabei an Japan, wo in Altersheimen immer mehr Pflegeroboter eingesetzt werden. Aus sozialer Perspektive sei es gut, wenn eine Gesellschaft ausgeglichen sei und die Alterspyramide nicht zu einem Pilz werde. «Das verringert das Konfliktpotenzial zwischen den Generationen.» Rost argumentiert zudem, dass Wirtschaft, Wohlfahrt und Sozialstaat auf Nachwuchs ausgelegt seien. Gleichzeitig konzediert sie aber auch, dass das Generationenmodell des Sozialstaates mit der Umverteilung von Jung zu Alt kein gutes Argument sei, um nach einer Stabilisierung der Geburtenrate zu rufen. Niemand will Kinder bekommen, nur damit diese dereinst die Altersvorsorge retten.

Kreative Lösungen

Was würde es brauchen, damit die Menschen wieder mehr Kinder möchten – oder mindestens nicht noch weniger? Unterstützungsmassnahmen wie Krippensubventionen hätten einen Effekt, sagt Rost. Sie nehmen wirtschaftlichen Druck von den Familien. Dennoch sollten sie nicht überschätzt werden. Die Diskussion um die Kinder werde oft ökonomisch geführt, der Kinderwunsch sei aber nicht ökonomisch motiviert. Entscheidend sei, so Rost, das Gesamtpaket. «Hier müssen wir kreativ überlegen.» Einen Ansatzpunkt sieht die Soziologin in einem positiveren Bild von der Familie. Es sollte in Gesellschaften für junge Personen wieder vermehrt als attraktiv, wünschenswert und nicht einengend wahrgenommen werden. Es helfe nicht, wenn Karrierefrauen heroisiert oder verteufelt würden, Hausfrauen als nicht zeitgemäss dargestellt würden oder Hausmänner als woke Nichtsnutze abgetan würden. Gefragt sind attraktive, nicht wertvorbeladene Modelle. Zum Beispiel die coolen, jungen Nicht-Helikopter-Eltern, welche sich in Ausbildung befinden und sich auf selbständige Berufswege vorbereiten.

NZZ Live-Veranstaltung: Kind und Karriere - ein Widerspruch?

Je höher die Karrierestufe, desto mehr sinkt der Frauenanteil. Wie kann Ungleichgewicht ausgeglichen werden? Welche Unterstützungen und Regelungen wären sinnvoll, um die Versorgung zu gewährleisten? Donnerstag, 18. April 2024, 18:30 Uhr, NZZ-Foyer, Zürich, und online | Tickets und weitere Informationen finden Sie hier

Weiterlesen - ein Beitrag von Christin Severin erschienen am 21.03.2024 auf nzz.ch