Angehörige von Demenzkranken sollen mehr Unterstützung erhalten

Oft werden Menschen mit Demenz von Angehörigen gepflegt. Für sie sollten schweizweit gleiche Regeln gelten, wird gefordert.

Die Pflege von Familienmitgliedern mit Demenz erfordert viel Zeit und Energie. Da sei es grundsätzlich in Ordnung, wenn Angehörige für die Arbeit entschädigt würden, sagt Stefanie Becker von Alzheimer Schweiz.

Aber die Direktorin der gemeinnützigen Organisation warnt auch: Diese Lösung dürfe für die pflegenden Angehörigen nicht zu einer zusätzlichen Belastung werden. Denn oftmals sei den Angehörigen zu Beginn nicht bewusst, worauf sie sich einliessen. «Die Demenzpflege ist eine sehr herausfordernde Arbeit.»

Und so erhält die Alzheimer-Helpline der Organisation viele Anrufe, bei denen es um die Entlastung der pflegenden Angehörigen geht. Das sei fast noch wichtiger als eine Entschädigung für ihre Arbeit, betont Becker.

  

Anstellung bei Spitex möglich

Angehörige können sich bei der Spitex anstellen lassen und erhalten dann für die Pflege einen Lohn. Sie müssten sich dies aber gut überlegen und dabei beraten werden, sagt Becker.

Und nicht zuletzt müssten sie für die Pflegearbeit zu einem gewissen Grad ausgebildet werden und sich Grundwissen dazu aneignen: «Die Grenze ist dann erreicht, wenn man die Pflege tatsächlich nicht mehr leisten kann und professionelle Hilfe braucht.»

Zudem solle die Politik schweizweit einheitliche Rahmenbedingungen für die Anstellung bei den Spitex-Organisationen erarbeiten und die Entschädigung regeln. «Es müssen auch mögliche Nachteile und Risiken für die Angehörigen minimiert werden», sagt Becker.

  

Ein gutes Geschäft für Spitex?

Das Modell der Anstellung von pflegenden Angehörigen ist in den letzten Jahren beliebter geworden – wurde kürzlich aber auch von anderen Organisationen kritisiert: Firmen und Spitex-Organisationen würden daraus Profit schlagen, hiess es etwa vom Krankenkassenverband Santésuisse in der SRF-Sendng 10vor10.

Während die pflegenden Angehörigen lediglich rund 35 Franken Stundenlohn bekommen, erhalten die Organisationen und Firmen von der Krankenkasse über 50 Franken pro Stunde. Hinzu kommen Beiträge von Gemeinden und Kantonen.

Auch Stefanie Becker von Alzheimer Schweiz betont: Die Anstellung von pflegenden Angehörigen sei keine allgemeine Patentlösung – und es dürfe auf keinen Fall die alleinige Massnahme gegen den Fachkräftemangel sein.

Weiterlesen - ein Beitrag von Livia Middendorp erschienen am 23.07.2024 auf www.srf.ch

Ansturm auf Caritas-Märkte - «Für diese Personen ist man in der Schweiz nicht wirklich da!»

Hunderttausende Menschen in der Schweiz können sich den Einkauf bei den grossen Detailhändlern nicht leisten. Sie sind auf die günstige Ware in den Caritas-Märkten angewiesen. Die Umsätze in Caritas-Märkten bleiben auf Rekordhöhe. Blick hat mit Betroffenen gesprochen.

Adrian S.* (23) geht seit zwei Jahren im Caritas-Markt einkaufen. «Als Velokurier verdiene ich nicht viel Geld», erklärt er gegenüber Blick. Bis zweimal die Woche deckt er sich deshalb mit den vergünstigten Produkten ein. «Ich finde es cool, dass es dieses Angebot gibt. Ich kaufe hier vor allem Milch, Früchte, Snacks und Konservendosen wie beispielsweise Thunfisch.» Im Caritas-Markt einkaufen darf S., weil er ein geringes Einkommen hat. Aber auch Asylsuchende, Flüchtlinge, Personen, die Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen oder Stipendien erhalten – sie alle können vom Angebot profitieren. So auch Maria C.*. Die Seniorin ist vor zwei Jahren aus der Ukraine geflüchtet. Seither geht sie einmal die Woche im Caritas-Markt ihre Besorgungen erledigen. «Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit. Es ist eine grosse Hilfe für mich», sagt die Ukrainerin. Neben Lebensmitteln greift sie auch bei Shampoo und Hygieneartikeln zu. Blick konnte vor dem Caritas-Markt in Zürich mit beiden sprechen. 

Umsatzzahlen auf Rekordniveau

Adrian P. und Maria C. zählen zu den 750'000 Menschen in der Schweiz, die auf das Angebot von Caritas angewiesen sind. Insgesamt besuchen täglich 4000 Kundinnen und Kunden die 23 Läden. Damit ist die Frequenz im ersten Halbjahr 2024 gleich hoch wie im Vorjahr. Kein Grund zur Freude meint der Leiter der Märkte, Thomas Künzler (63): «Der Umsatz liegt nach sechs Monaten wie im Vorjahr bei 8,9 Mio. Franken. Damit liegen die Zahlen immer noch auf dem Rekordniveau von 2023.» Eine Verbesserung der Lage sei nicht in Sicht. Schuld gibt Künzler allen voran der Inflation, obwohl diese im Juni auf 1,3 Prozent gesunken ist. «Die Preise der Grundnahrungsmittel liegen immer noch auf einem sehr hohen Niveau.» Ein Preisvergleich der Caritas von September 2021 und Juli 2024 zeigt: Der Preis von einem Liter Olivenöl ist im Detailhandel von 3.70 auf 9.99 Franken gestiegen! Dabei werden immer die günstigsten Preise miteinander verglichen. Der Preis für Olivenöl hat sich also fast verdreifacht: für einen Haushalt mit wenig Budget untragbar.

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«Die Preise bei uns liegen in der Regel 25 Prozent tiefer», so Künzler. Das Sortiment umfasst 1000 Artikel. Gewisse Produkte sind deutlich günstiger, bei anderen sind die Preise dagegen praktisch identisch. Neben Lebensmitteln bietet Caritas auch Putzmittel, die volle Palette an Hygieneprodukten sowie Spielzeug für Kinder an. Aktuell gibt es zudem Schultaschen zu kaufen – für 12.50 Franken. 

Mittelstand in Gefahr

Künzler merkt, dass immer mehr Working Poor die Caritas-Märkte besuchen. Das sind Menschen wie Adrian S., die trotz Arbeit von der Armut bedroht sind. Der Leiter der Märkte sieht vor allem eine Schwierigkeit: «Was machen wir in Zukunft mit dem Mittelstand?» Denn die Grenze zwischen dem Mittelstand und den 700'000 Armutsbetroffenen in der Schweiz ist klein. «Für diese Personen ist man in der Schweiz nicht wirklich da!», kritisiert er. Die Caritas versuche zwar, das Problem zu lindern. «Die Politik muss jedoch schauen, dass sich dieses nicht weiter verschärft.» Wegen der Teuerung mussten auch die Caritas-Märkte die Preise erhöhen. Das spüren auch die Kundinnen und Kunden. «Früher waren die Preise besser», sagt eine Mutter vor dem Caritas-Markt in Zürich zu Blick. Dank Spenden und der Unterstützung von Stiftungen kann die Caritas jedoch die wichtigsten Produkte quersubventionieren und die Artikel unter dem Einstandspreis anbieten. Beim Besuch von Blick im Caritas-Markt ist die Dankbarkeit der Kundinnen und Kunden zu spüren. Sie sind froh, können sie günstiger einkaufen. Egal, ob Asylbewerber, Flüchtling, Working Poor, Senioren oder Familien. Sie alle wollen nur über die Runden kommen.

Weiterlesen - ein Beitrag von Milena Kälin erschienen am 20.07.24 auf blick.ch

Wohlstandsungleichheit nimmt ab, doch es gibt einen Haken

Die Inflation lässt den Wohlstand steigen. Auch die unteren und mittleren Vermögen profitierten im vergangenen Jahr davon. Die Menschen in der Schweiz haben im Durchschnitt das höchste Vermögen der Welt. Alle Vermögen sind gestiegen. Doch viele Menschen haben gar kein Vermögen und leiden unter der Inflation.

637'000 Franken betrug das Durchschnittsvermögen einer erwachsenen Person in der Schweiz. Das ist weltweit Spitze, wie die UBS in einer Studie zeigt. Luxemburg an zweiter Stelle folgt mit 100'000 Franken weniger. Das Durchschnittsvermögen liegt zwar 6 Prozent tiefer als noch im Vorjahr. Das liegt aber vor allem am starken Franken. In Dollar gerechnet stiegen die Vermögen um 3,4 Prozent. Allerdings reissen die extrem Reichen das Durchschnittsvermögen hoch. Weniger verzerrt ist das Bild beim Medianvermögen, bei dem die Hälfte mehr und die andere Hälfte weniger besitzt. Beim Medianvermögen liegt die Schweiz mit 153'000 Franken noch an siebter Stelle weltweit und ganz oben ist Luxemburg.

Wohlstandsungleichheit nimmt ab

Doch entgegen der Meinung, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, schliesst sich die Schere zwischen Arm und Reich laut UBS etwas. Der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Wohlstandsungleichheit misst, ist in der Schweiz seit der Finanzkrise 2008 um 4,6 Prozent zurückgegangen, von 70 auf 67 Punkte.Laut UBS sind alle Vermögen gestiegen, doch die unteren und mittleren bis 100'000 Franken stärker als die oberen. Doch wie kann das sein angesichts steigender Krankenkassenprämien, Mieten und Inflation? «Es ist wichtig, zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten auf der einen und Vermögen auf der anderen Seite zu unterscheiden», sagt Paul Donovan, Chefvolkswirt, bei UBS Global Wealth Management.

«Inflation vermehrt den Wohlstand»

«Es gibt sogar einen Mechanismus, bei dem eine höhere Inflation zu einem Anstieg des Wohlstands führt», sagt Donovan. Als Extrembeispiel nennt er die Türkei. In dem Land steigen die Preise derzeit um 70 Prozent. Die hohen Preise bringen den Unternehmen mehr Einnahmen. «Eine höhere Inflation ermutigt die Menschen auch, in Vermögenswerte zu investieren, die ihre Ersparnisse vor der Inflation schützen können - in der Regel Aktien und Immobilien -, was die Preise dieser Vermögenswerte weiter steigen lässt», so Donovan. So sagt auch Andreas Lustenberger Bereichsleiter Grundlagen und Politik bei der Caritas zu dem Ergebnis: «Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik sprechen eine klare Sprache: Die am Einkommen gemessene Armut nimmt seit 2014 in einer klaren Tendenz zu.»

30 Prozent mehr Caritas-Kunden

Obwohl sich die Schweiz verpflichtet habe, die Armut im Land bis 2030 um mindestens die Hälfte zu senken, sei sie davon noch weit entfernt. Das Problem ist laut Lustenberger, dass immer mehr Menschen auch knapp über der offiziellen Armutsgrenze zu wenig Geld haben, um über die Runden zu kommen. Insgesamt seien das 15,6 Prozent der Bevölkerung, also jede sechste Person. Die Nachfrage in den Caritas-Märkten, wo Menschen mit wenig Geld vergünstigt Lebensmittel kaufen können, sei in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent gestiegen. «Es kommen auch neue Leute in die Sozialberatungen. Diese Menschen haben kein Vermögen», sagt Lustenberger. Diese Menschen wüssten nicht mehr, wie sie die steigenden Kosten decken sollen. «Oft müssen sie sich entscheiden, das Geld für Rechnungen oder für Lebensmittel auszugeben.» 18,5% der Bevölkerung sind laut Bundesamt für Statistik nicht in der Lage, eine unerwartete Ausgabe in der Höhe von 2500 Franken zu begleichen.  Ausserdem betrug das Vermögen von der Hälfte der steuerpflichtigen Personen in der Schweiz maximal 50'000 Franken Vermögen (siehe Grafik).

Das zählt zum Vermögen

Zum Vermögen rechnet die UBS das Finanzvermögen und Wohneigentum abzüglich der Schulden. Dazu kommen private Pensionsfonds wie die zweite und dritte Säule, nicht aber die Ansprüche auf staatliche Renten.

Weiterlesen - ein Beitrag von Fabian Pöschl erschienen am 11.07.2024 auf 20min.ch

 

Eltern wollen von ihren Kindern bewundert werden – und strengen sich daher an im Job

Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren, ist anspruchsvoll. Worüber kaum jemand spricht: Kinder können die Eltern auch zu Höchstleistungen im Beruf anspornen.

Was würden Sie denken, wenn Ihre Chefin Ihren Eltern einen Brief schreiben würde – und sich darin dafür bedankt, dass es Sie gibt? Die einen wären erstaunt, irritiert – andere vielleicht geschmeichelt. Und genau das tat Indra Noovi: In ihren zwölf Jahren als CEO von Pepsi verschickte sie jedes Jahr 400 handgeschriebene Briefe an die Eltern ihrer Führungskräfte. «Ich schrieb, was ihr Kind bei Pepsi macht und dass ihr Kind ein Geschenk für das Unternehmen ist», erklärte Noovi im Jahr 2017 in einer amerikanischen TV-Show. Viele Eltern hätten geantwortet, dass sie sich geehrt fühlten. Und auch die Führungskräfte freuten sich über das Kompliment.

Mit dieser Aktion wollte Indra Noovi zeigen, wie wichtig es ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Leistungen nicht nur isoliert zu betrachten, sondern im Kontext ihrer Familien. Nicht nur die Herkunftsfamilie ist dabei von Bedeutung, sondern auch die eigenen Kinder und der Partner oder die Partnerin. Denn entgegen der landläufigen Meinung, dass die Gründung einer Familie ein Karrierekiller sei, kann sie auch ein Motivationsfaktor sein: Wer Kinder hat, strengt sich bei der Arbeit überdurchschnittlich an. Das geht aus einer Studie des Center for Leadership in the Future of Work der Universität Zürich aus dem Jahr 2017 hervor. Das Management-Magazin «Harvard Business Review» hat im Juni über diese und andere Studien aus verwandten Forschungsfeldern in einem Artikel berichtet.

Familie als Energiequelle

Die Studienautoren haben in der Wüste Nordmexikos 97 Angestellte über einen bestimmten Zeitraum in einer sogenannten Maquiladora beobachtet. Dabei handelt es sich um Montagefabriken entlang der Grenze zu den USA. Die Bezahlung ist schlecht, und die Arbeiten sind stark repetitiv, machen also kaum Spass. Es zeigte sich, dass diejenigen die besten Leistungen erbrachten, die nicht nur für ihr eigenes Fortkommen arbeiteten, sondern weil sie ihre Familie damit ernähren.

Die Autoren der Studie erklären sich diese Motivation dadurch, dass Mütter und Väter von ihren Kindern bewundert werden wollen. Es sei ihnen wichtig, dass die Kinder sehen würden, dass sie gute Arbeit leisteten. Diese Eltern möchten laut der Studie ein Vorbild sein und dem Nachwuchs eine gute Arbeitsmoral vermitteln.

Die Studie ist aber mit Vorsicht zu geniessen: Sie wurde bewusst mit Arbeitnehmern aus dem Niedriglohnsektor durchgeführt. Denn bei Jobs für Hochqualifizierte gibt es weit mehr Faktoren als nur die Familie, die einen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter haben können. Sei es, weil die Arbeit Freude bereitet, Sinn stiftet, einen gesellschaftlichen Status mit sich bringt oder mit einem guten Salär verbunden ist.

«Wenn die Eltern arbeiten, lernen die Kinder bereits früh etwas über die Arbeitswelt», sagt der Ökonomieprofessor Jochen Menges von der Universität Zürich. Er hat die Studie mitverfasst und ist überzeugt, dass Kinder den nichtmonetären Wert der Arbeit ihrer Eltern erkennen, wenn auch nicht in ihrer ganzen Komplexität.

Familien in Unternehmen einbinden

Und auch wenn die meisten Menschen in eine Familie eingebunden sind, sehen viele Unternehmen Kinder immer noch eher als Konkurrenz im Kampf um die begrenzte Zeit und Energie des Arbeitnehmers. «Die Tatsache, dass Familie für die Arbeit motivierend wirken kann, wurde bisher schlicht übersehen», sagt Menges. Der Arbeitgeber müsse dankbar sein, dass die Familie die Arbeit des Mitarbeiters mittrage. Das Privatleben sei für einen Arbeitnehmer denn auch ein Ausgleich und keine Doppelbelastung, auch wenn das Familienleben, genauso wie das Arbeitsleben, anstrengend sein könne.

Hinzu kommt, dass Mitarbeiter mit Kindern bei der Erziehung Dinge erlernen, die ihnen im Beruf durchaus nützlich sein können. Eine Studie aus dem Jahr 2022 von Nina Maureen Junker, Eugenia Bajet Mestre, Jamie L. Gloor und Alina S. Hernandez Bark zeigt, dass die verschiedenen Rollen bei der Arbeit oder zu Hause nicht in Konflikt stehen müssen, sondern sich vielmehr ergänzen können. Eine entsprechende Untersuchung bei Frauen hat ergeben, dass sie durch die Mutterschaft Führungsfähigkeiten aufbauen. Allerdings können solche Fähigkeiten auch abseits von Mutterschaft erlernt werden.

Da die Familien indirekt zum Erfolg der Unternehmen beitragen, empfiehlt Menges, bei Firmenanlässen auch die Angehörigen der Mitarbeiter einzubeziehen. Ein gutes Beispiel dafür sei der Zukunftstag in der Schweiz, bei dem die Eltern ihre Kinder zur Arbeit mitnehmen könnten.

Greedy Jobs

Ziel seiner Studie sei auch, eine positivere Bilanz für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ziehen, sowohl für Frauen als auch für Männer. Viele hätten das Gefühl, weder zu Hause bei den Kindern noch im Job zu genügen, sagt Menges. «Davon sollten wir wegkommen. Die Arbeit gibt der Familie viel, und das verstehen auch die Kinder.» Eine grössere Akzeptanz von Teilzeitarbeit oder neuen Arbeitszeitmodellen wie der Vier-Tage-Woche könnte zudem helfen, die Motivationsreserven sowohl von Frauen als auch von Männern aufzufüllen, so Menges.

Unbestritten bleibt jedoch, dass die Gründung einer Familie vor allem von den Frauen als Karrierekiller gesehen wird. Weshalb das so ist, beantwortet die Harvard-Professorin Claudia Goldin in ihrer Arbeit «Greedy Jobs», für die sie im Jahr 2023 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Mit dem Begriff «gierige Arbeit» zeigte sie auf, dass der Lohn mit zusätzlichem Arbeitseinsatz in vielen Jobs überproportional steigt. Wer an den Wochenenden und am Abend arbeitet, macht also eher Karriere als jemand, der um 17 Uhr gehen muss und Teilzeit arbeitet, weil er zu Hause mit den Kindern noch einen zweiten Job hat. Folglich würden sich die Karriere- und Lohnaussichten verschlechtern.

Die Studie des Center for Leadership in the Future of Work der Universität Zürich trifft auf Teilzeitmitarbeiter genauso zu wie auf Vollzeitmitarbeiter. So dürften auch Frauen im Teilzeitpensum eine Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit erleben – im Wissen, dass sie den Kindern zu Hause damit ein Vorbild sind. Von einem Karriere-Boost kann allerdings keine Rede sein.

Weiterlesen - ein Beitrag von Isabelle Wachter

Schweizerische Arbeitskräfteerhebung 2023: Knapp die Hälfte der Arbeitnehmenden mit flexiblen Arbeitszeiten

2023 profitierten 47,7% der Arbeitnehmenden von flexiblen Arbeitszeiten und knapp zwei von fünf leisteten zumindest gelegentlich Heimarbeit. 26,5% der Erwerbstätigen sind regelmässig samstags tätig, Nachtarbeit ist deutlich weniger verbreitet (5,6%). Befristete Arbeitsverträge betreffen 8,6% der Arbeitnehmenden und der Anteil der Arbeit auf Abruf beläuft sich auf ähnlichem Niveau (8,3%). Zwischen den Wirtschaftsbranchen variieren diese Ergebnisse stark, ebenso nach Geschlecht und Alter. Dies geht aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervor.
 
Im Jahr 2023 verfügten 47,7% der Arbeitnehmenden über flexible Arbeitszeiten (Wochen- oder Monatsarbeitszeit mit oder ohne Blockzeiten, Jahresarbeitszeit, keine formalen Vorgaben, anderes Modell). Männer (51,8%) profitieren häufiger von flexiblen Arbeitszeiten als Frauen (43,3%). Nach Wirtschaftsbranche betrachtet sind flexible Arbeitszeiten sehr ungleich verteilt. Die höchsten Anteile von rund drei Vierteln sind in folgenden Branchen vorzufinden: Information und Kommunikation (77,3%), Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (75,3%) und Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (73,0%).
 
Die Hälfte der Erwerbstätigen im Gastgewerbe arbeitet regelmässig abends
 
2023 arbeiteten 16,4% der Erwerbstätigen regelmässig abends, Frauen häufiger als Männer (17,2% gegenüber 15,7%). 15- bis 24-Jährige weisen im Altersvergleich den höchsten Anteil an Abendarbeit auf (21,5%), in den restlichen Altersgruppen sind es zwischen 15 und 17%. In der Branche Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie ist die Abendarbeit am stärksten verbreitet (49,8%), gefolgt von der Branche Verkehr und Lagerei mit 30,7%. Demgegenüber arbeiten lediglich 4,3% der im Baugewerbe/Bau tätigen Personen regelmässig abends.
 
Regelmässige Nachtarbeit in der Branche Verkehr und Lagerei am häufigsten
 
Insgesamt arbeitet rund jede zwanzigste erwerbstätige Person regelmässig nachts. Im Gegensatz zur Abendarbeit wird die Nachtarbeit von Männern (6,1%) etwas häufiger praktiziert als von Frauen (5,0%). Ein vergleichsweise hoher Anteil an regelmässiger Nachtarbeit ist in der Branche Verkehr und Lagerei zu vermerken (22,0%), gefolgt vom Gesundheits- und Sozialwesen (12,0%).

Ein Viertel der Erwerbstätigen arbeitet regelmässig am Wochenende
 
26,5% der Erwerbstätigen arbeiten regelmässig samstags und 15,8% regelmässig sonntags. Frauen sind häufiger am Wochenende tätig als Männer (samstags: 29,6% gegenüber 23,8%; sonntags: 17,4% gegenüber 14,5%). Differenziert nach Alter zeigen sich hohe Anteile an Wochenendarbeit bei den 15- bis 24-Jährigen (samstags: 35,1%; sonntags: 21,1%) und bei den 65-Jährigen und Älteren (samstags: 33,9%; sonntags: 20,7%). Bei 25- bis 64-Jährigen belaufen sich die Werte auf 25 bis 28% für die Samstagsarbeit bzw. 15 bis 17% für die Sonntagsarbeit. Bemerkenswerte Anteile an Wochenendarbeit sind in der Branche Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie (Samstagsarbeit: 70,2%; Sonntagsarbeit: 51,3%) sowie in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (Samstagsarbeit: 68,4%; Sonntagsarbeit: 52,1%) zu verzeichnen.
 
Ein Viertel der Personen im Rentenalter arbeitet auf Abruf
 
Im Jahr 2023 leisteten 8,3% der Arbeitnehmenden Arbeit auf Abruf (Männer: 6,7%; Frauen: 9,9%). Bei Personen im Rentenalter ist diese Arbeitsform besonders verbreitet (25,4%), bei 15- bis 24-Jährigen sind es ebenfalls deutlich mehr als der Durchschnitt (16,1%). Bei Arbeitnehmenden der mittleren Altersklassen beläuft sich die Arbeit auf Abruf auf rund 7%. Diese Arbeitsform ist insbesondere in der Branche Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie hervorzuheben (19,5%), gefolgt von der Branche Erbringung von sonstigen Dienstleistungen (Kunst, Unterhaltung, private Haushalte, sonstige Dienstleistungen) mit einem Anteil von 14,7%.
 
Viel Heimarbeit in der Branche Information und Kommunikation
 
Knapp zwei von fünf Arbeitnehmenden leisten zumindest gelegentlich Heimarbeit (38,4%). Dies betrifft Erwerbstätigkeiten, die daheim in der Privatwohnung ausgeführt werden, unabhängig davon, ob es sich um Teleheimarbeit (Benutzung des Internets für den Informationsaustausch mit dem Arbeitgeber) handelt oder nicht. In der Branche Information und Kommunikation wird besonders oft Heimarbeit geleistet (82,9% der Arbeitnehmenden). Ebenfalls überdurchschnittliche Anteile von mehr als 60% sind in den Branchen Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (73,3%) und Erziehung und Unterricht (63,3%) vorzufinden.
 
Erziehung und Unterricht: ein Viertel mit befristeten Arbeitsverträgen
 
8,6% der Arbeitnehmenden waren 2023 in einem befristeten Arbeitsverhältnis angestellt, Frauen (9,4%) etwas öfter als Männer (7,8%). Unterschieden nach Alter sind insbesondere die 15- bis 24-Jährigen zu erwähnen, die zu 25,0% befristet angestellt sind. Auch bei den 65-Jährigen und Älteren sind befristete Arbeitsverträge überdurchschnittlich verbreitet (17,2%). Betrachtet nach Wirtschaftsbranche entfällt der höchste Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen auf die Branche Erziehung und Unterricht (24,3%).

Weiterlesen - Neue statistische Informationen vom Bundesamt für Statistik erschienen am 05.07.2024

Trotz Fachkräftemangel: Ältere erleben oft Ablehnung

Viel ist die Rede vom Fachkräftemangel. Gleichzeitig erleben Ältere oft Ablehnung auf dem Arbeitsmarkt. Wird die Knappheit übertrieben?

Paul Weber ist ein gut qualifizierter 55-Jähriger. Ursprünglich hatte er eine Lehre gemacht, später aber die Matura nachgeholt und studiert. Laufend hat er sich weitergebildet, während seiner letzten Stelle noch eine Führungsausbildung absolviert. Nach über zehn Jahren im gleichen Job wollte er nochmals einen Schritt machen – und hat gekündigt. «Überall habe ich vom Fachkräftemangel gelesen. Ich war überzeugt, bald wieder etwas zu finden.» 13 Monate später ist der Optimismus verflogen. Ein Dutzend Bewerbungsprozesse und ebenso viele Absagen haben ihn zermürbt. Paul Weber, der eigentlich anders heisst, spricht mittlerweile von Altersdiskriminierung: «Dass ich so lange am Suchen bin, zeigt, dass da etwas schiefläuft. Es kann nicht nur an mir liegen.» Das bestätigt auch der Personalvermittler Pascal Scheiwiller. Er kennt die Sicht der Stellensuchenden und weiss, was die Unternehmen suchen. Scheiwiller sagt, das Problem des Fachkräftemangels werde übertrieben dargestellt: «Wäre dem wirklich so, würden sich die Unternehmen viel flexibler zeigen.»

Null-Toleranz für Abweichungen

Gemäss Personalvermittler Scheiwiller sind die Unternehmen nicht bereit, Abweichungen vom Wunschprofil in Kauf zu nehmen: «Es gibt klare Kriterien und Anforderungen. Wer die nicht erfüllt, wird nicht eingestellt.» Auch Quereinsteiger seien unbeliebt, «weil man in sie investieren muss und nicht weiss, ob es gut kommt». Die Ansprüche an die Passgenauigkeit bei einer Stellenvergabe fielen bei Älteren stärker ins Gewicht, beobachtet der Personalvermittler: «Kommen persönliche Vorurteile hinzu, stecken über 55-Jährige schnell in einer Schublade: schwierig zu integrieren, weniger leistungsbereit, weniger technikaffin.» Derart wählerisch zu sein, müsse man sich leisten können, ist Pascal Scheiwiller überzeugt: «Den Unternehmen steht die ganze EU als Rekrutierungsraum offen, nicht nur der Schweizer Arbeitsmarkt. Und das nutzen sie.»

Absage an Altersquote

Gleichwohl ist der Personalvermittler gegen Altersvorschriften für Unternehmen. Denn eine Quote bewirke genau das Gegenteil dessen, was man erreichen wolle, ist er überzeugt: «Wenn Sie den Unternehmen vorgeben, so und so viel Prozent der Angestellten müssten über 55 sein, haben diese Leute es noch schwerer bei Einstellungen; niemand hält sie für qualifiziert.» Auch der Arbeitgeberverband SAV winkt ab, wenn es um Vorgaben für Unternehmen geht. Die Unternehmen müssten die für sie besten Leute wählen können, sagt Daniela Lützelschwab vom SAV, «eine Altersquote lehnen wir darum ab.» Auch einen Altersvorrang für ältere Bewerber bei gleicher Qualifikation hält der SAV für untauglich, weil dadurch andere Bewerberinnen und Bewerber diskriminiert würden.

Die Logik des Marktes

Personalvermittler Pascal Scheiwiller ist überzeugt, das Problem werde sich von selbst lösen, wenn sich der Fachkräftemangel weiter verschärft: «Dann haben auch ältere Kandidatinnen und Kandidaten mehr Chancen. Das ist die Logik des Marktes.» Für Paul Weber, der seit über einem Jahr eine Stelle sucht, ist das ein schwacher Trost. Der 55-Jährige wünscht sich Vorgaben des Bundes: «Ich glaube, es braucht Leitplanken, damit ältere Bewerberinnen und Bewerber überhaupt eine Chance haben.»

Ältere sind nicht häufiger arbeitslos

In der Schweiz sind ältere Personen nicht häufiger arbeitslos als jüngere. Aber wenn sie eine Stelle suchen, brauchen sie deutlich länger als Jüngere. 2023 betrug die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt über alle Altersgruppen 2 Prozent, bei der Gruppe der 50-64-Jährigen 1,9 Prozent. Im Juni 2024 waren 29'565 Personen über 50 Jahre bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV gemeldet, davon 5’854 seit über einem Jahr. Der Anteil dieser Langzeitarbeitslosen beträgt über alle bei den RAV gemeldeten Personen 12 Prozent, bei den 50-64-Jährigen sind es 19.8 Prozent. In den Zahlen nicht enthalten sind Personen, die eine Stelle suchen, aber nicht sofort vermittelbar sind – oder nicht beim RAV gemeldet. Ebenfalls nicht enthalten sind die Ausgesteuerten. Im internationalen Vergleich sind in der Schweiz überdurchschnittlich viele Ältere erwerbstätig: Der Anteil der 55-64-Jährigen lag 2023 bei 78 Prozent.

Weiterlesen - ein Beitrag von erschienen am 04.07.2024 auf srf.ch