Digitalisierung und Homeoffice: Flexible Arbeitszeiten: Freiheit oder Ausbeutung?

Mehr Freiheit bei der eigenen Arbeit ist nicht erst seit der Digitalisierung und Homeoffice ein Thema. Doch die Pandemie und die Homeoffice-Pflicht in vielen Branchen haben den Trend zu flexiblen Arbeitsformen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt zusätzlich beschleunigt. Im Gespräch mit Arbeitsrechtsprofessor Kurt Pärli zeigt «Kassensturz», wer davon profitiert – und wer verliert.

SRF: Wir haben bei «Kassensturz» öfters das Thema Arbeit auf Abruf behandelt. Es gibt auch andere solcher Arbeitsformen. Was gehört da noch dazu?

Kurt Pärli: Sicher Temporärarbeit, welche es in verschiedenen Formen gibt. Dazu kommen Plattformarbeit wie zum Beispiel bei Uber und Uber Eats und als neues Phänomen das Prinzip, Arbeitsaufträge auf Subunternehmen zu übertragen, zum Beispiel in der Baubranche. Dies bringt zwar mehr Flexibilität, was gut für die Unternehmen ist. Es stellt sich jedoch die Frage, zu welchem Preis und wer diesen Preis bezahlen muss. Das Übertragen von Risiken bedeutet, dass bei Subunternehmen am Ende niemand mehr für die Lohnzahlung zuständig ist. Das ist ein Problem, das man lösen muss.

Gibt es eine Lösung, mit der die Vorteile bestehen bleiben, die Arbeitnehmenden jedoch besser geschützt sind?

Vor 20 bis 30 Jahren war Personalverleih ein neues Phänomen, auf welches der Gesetzgeber reagiert hat. Personalverleih ist heute bewilligungspflichtig und unterliegt einer überwachenden Behörde. Ähnliche Lösungen braucht es jetzt auch bei den Plattformen und allenfalls auch bei Subunternehmen. Der Gesetzgeber ist gefordert, gerade auch im Interesse der Unternehmen, die nicht gegen Regeln verstossen. 

Eine weitere Bedrohung ist die Liberalisierung der Arbeitszeiten. Da gibt es aber nicht nur Nachteile, wie könnte man das fair lösen?

Auch Arbeitnehmer schätzen Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeiten, Homeoffice und Teilzeitarbeit. All das darf jedoch nicht dazu führen, dass die Menschen rund um die Uhr arbeiten, keine Freizeit mehr haben und sich Arbeit und Freizeit immer mehr vermischen. Es darf auch nicht dazu führen, dass Arbeitnehmende nicht mehr wissen, ob sie jetzt auf Arbeitszeit sind oder auf Abruf arbeiten. Flexibilität braucht Sicherheit.

Wie könnte man das regeln – ist wieder der Gesetzgeber gefordert?

Ja, er sollte das Arbeitsgesetz von 1964 überarbeiten – die Frage ist nur wie. Gewisse Kreise fordern eine komplette Liberalisierung der Arbeitszeiten. Doch zu viel zu arbeiten ohne Pause ist nicht gut für die Gesundheit, auch aus Sicht der Arbeitsmedizin.

Im Jahr 2021 gibt es immer noch keine obligatorische Krankentaggeldversicherung. Was bedeutet es, wenn eine solche Versicherung fehlt?

Wenn nur das Gesetz zählt, bedeutet das für Arbeitnehmende im ersten Dienstjahr eine Lohnfortzahlung von gerade mal drei Wochen. Wenn man den Job wechselt, fängt man immer wieder von vorne an. Man ist dann wieder im ersten Dienstjahr, also wieder nur bei drei Wochen Lohnfortzahlung. Erst nach fünf Dienstjahren hat man knapp zwei Monate zugute.

Bei Unfällen gibt es eine Regelung, bei Krankheit nicht. Wieso ist das so?

Das Parlament hat mehrfach eine Regelung verweigert. Auch der Bundesrat findet eine obligatorische Krankentaggeldversicherung nicht nötig.
Aus meiner Sicht ist das falsch, denn eine obligatorische Versicherung würde eine elementare Lücke abdecken. Krankheitsrisiko ist in der Schweiz ein Armutsrisiko. Der Status Quo ist auch für Betriebe nicht gut: Es gibt viele Rechtsunsicherheiten, zudem sind die Prämien für kleine Betriebe exorbitant hoch.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 23.12.2021 auf www.srf.ch





Umfrage zu Familie und Beruf

Forderungen «breit abgestützt»

Jugendliche in der Pandemie - Weniger sozial wegen Covid? Das Misstrauen wächst

Teenager aus schlechter gestellten Familien vertrauen wegen Corona weniger. Das schmälert auch die Zukunftschancen. Eine neue Studie zeigt: Die Unterschiede in der Sozialität haben sich verdreifacht. Die Pandemie schlägt auf die kollektive Psyche. Das bestätigt auch die neue Swiss Corona Stress Study der Universität Basel. Weniger bekannt: Eine Corona-Erkrankung in der Familie kann auch das Sozialverhalten negativ beeinflussen.

Eine Studie neu gedacht

Ursprünglich sollte die Lausanner Studie bei Jugendlichen das Verhalten in Netzwerken untersuchen, und wie Netzwerkverhalten ökonomische Entscheidungen beeinflusst. Eine Infektion mit dem Corona-Virus innerhalb der Familie führt bei Schülerinnen und Schülern aus sozioökonomisch schwächer gestellten Familien zu einer drastischen Verringerung des prosozialen Verhaltens: Ihre Bereitschaft, anderen Personen zu vertrauen, mit ihnen zu kooperieren oder ihnen zu helfen, sinkt deutlich. Der Verhaltensökonom Matthias Sutter ist Professor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgüter. Er hat die Studie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Lausanne und der Toulouse School of Economics durchgeführt. Hier geht es zur Studie.
Die Schere wird grösser

Eine Covid-Erkrankung verringert die Bereitschaft von Jugendlichen aus unterprivilegierten Familien, anderen Menschen zu vertrauen, mit ihnen zu kooperieren, ihnen zu helfen. Corona zeigt also einen negativen Einfluss auf die sogenannte Prosozialität. Unterschiede in der Prosozialität zwischen besser und weniger gut gestellten Jugendlichen seien zwar nichts Neues, meint Matthias Sutter: «Das ist auch schon längst vor der aktuellen Pandemie nachgewiesen worden. Weil die Prosozialität für das Arbeitsleben später so wichtig ist, gibt es Überlegungen; wie kann man diese Schere schliessen?» Doch Corona habe diese Bemühungen praktisch zunichtegemacht. Die Unterschiede in der Sozialität seien im Gegenteil aufs Dreifache angewachsen.

Das Misstrauen wächst

Die Effekte haben die Studienautoren experimentell gemessen. Zum Beispiel an der Frage, wie stark man anderen vertraut – mithilfe einer virtuellen Spielsituation: «Ich gebe jemand anderem etwas rüber, das wird verdoppelt und dieser kann etwas zurückgeben. Wenn ich nicht darauf vertraue, dass mir jemand auch mal einen Vertrauensvorschuss zurückzahlt, dann sollte ich gar nichts hergeben. Stattdessen sollte ich alles für mich behalten.» Genau dies sei bei den sozial benachteiligten Jugendlichen passiert, so Matthias Sutter. Sie misstrauten den anderen. In den Versuchen waren sie auch kaum bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten oder Geld zu spenden.

Die Pandemie geht schneller an die Existenz

Die Pandemie trifft Unterprivilegierte ohnehin stärker, etwa durch Arbeitslosigkeit oder fehlende Möglichkeiten zum Homeoffice. Doch diese Faktoren erklären das Ergebnis der Lausanner Studie nicht. Es könnte eher an der Bedrohlichkeit von Covid-19 liegen, sagt Matthias Sutter. Bei weniger Privilegierten geht die Krankheit schneller an die Existenz. «Wenn man mit so einer Gefahr konfrontiert ist, dann schaut man mehr auf sich selber, wie in unserer Studie, und vielleicht auch auf die Familie», vermutet Sutter. «Man gibt weniger ab, kooperiert weniger – und vor allem: Man ist weniger vertrauensvoll.»

Soft Skills für die Zukunft fehlen

Diese Verhaltensweisen treffen sehr wahrscheinlich auch auf die Jugendlichen zu, so der Verhaltensökonom. Die Leidtragenden der Pandemie seien vor allem die Jugendlichen. Soft Skills wie die Prosozialität seien für den weiteren Lebensweg sehr wichtig. Wenn diese bei Jugendlichen aus unteren Schichten beeinträchtigt würden, sei das besonders schlecht. Matthias Sutter findet deshalb: Die Politik müsse bei den Pandemiemassnahmen auch langfristig denken und soziale Aspekte mitberücksichtigen. Sonst drohe ein Teil der Jugendlichen durch die Maschen zu fallen.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 21.12.2021 auf www.srf.ch

Gleichberechtigung und Diversität im Job

Firmen fragen Mitarbeitende nach ihrer Hautfarbe und sprechen bei Job-Inseraten nicht mehr nur Mann und Frau an: Unternehmensberater und Coach Reinhard Vissa erklärt im Interview, wie sich Unternehmen am besten in Fragen Gleichberechtigung und Diversität verhalten. Die UBS fragt Mitarbeitende nach der Hautfarbe, die Uefa verbietet ein Regenbogen-Stadion. Immer wieder kommt es zu Shitstorms, weil sich Unternehmen falsch verhalten. Darum brauchen Firmen klare Richtlinien, wenn es um Diversität und Gleichberechtigung geht. Unternehmensberater und Coach Reinhard Vissa erklärt im Interview wie das geht.

 

Herr Vissa, die UBS fragt jetzt ihre Mitarbeitenden, welche Hautfarbe sie haben. Das hat zu einem Shitstorm geführt. Wie sollte sich ein Unternehmen in so einer Situation verhalten?

Wichtig ist, dass diese Angaben absolut freiwillig und vertraulich sind. Aber um Diversität und Gleichberechtigung in einem Unternehmen zu fördern, muss ein Bewusstsein darüber herrschen, von welchen Zugehörigkeiten die Firmen getragen werden. Für einen grossen Konzern kann es aber schwierig sein, den Überblick bezüglich der ethnischen Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zu behalten. Deshalb erachte ich die Frage der UBS als unproblematisch. Um mit Shitstorms richtig umgehen zu können, rate ich Unternehmen generell, ein Wertesystem zu Themen wie Gleichberechtigung und Diversität zu entwerfen. Dieses muss festhalten, welche Haltung die Firma einnimmt. Daran kann sich ein Unternehmen in einer Krisensituation orientieren und weiss, wie es reagieren muss.

Wie sollte dieses Wertesystem genau aussehen – steht dort auch drin, ob Führungspersonen ihre Mitarbeitenden in den Ausgang einladen dürfen?

Ich denke, das grenzt an Bevormundung und wäre nicht der richtige Weg. Vielmehr sollten Werte wie Respekt, Toleranz, Anstand und gewaltfreie Kommunikation von Führungskräften vorgelebt und durchgesetzt werden. Wenn diese Werte in beruflichen wie auch privaten Begegnungen von uns allen gelebt werden, schaffen wir klare Grenzen für Übergriffe. Das kollektive Bewusstsein zu fördern, hat eine stärkere Wirkung als ausufernde Regelwerke.

Können Firmen überhaupt etwas tun, um Sexismus zu verhindern?

Natürlich kann eine Firma nicht korrigieren, was in der Gesellschaft falsch läuft. Grundsätzlich gilt gleiches wie in allen Lebensbereichen: Werte setzen Kommunikation voraus. Indem wir Werte im Alltag leben, entsteht eine Haltung. Es würde sich beispielsweise lohnen, wenn die Chefetage am Jahrestreffen nicht nur über Ziele und Strategien spricht, sondern auch Stellung zu kulturellen Themen wie Werteverständnis, neue Arbeitsformen wie Homeoffice, interne Kommunikation, Diversität und eben auch Sexismus nehmen würde.

Dürfen Mitarbeitende diesbezüglich auch Forderungen an ein Unternehmen stellen?

Öffentliche kommunizierte Forderungen ohne vorherige interne Gespräche sind selten Nährboden für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Jede Bewerberin und jeder Bewerber sollte vor der Anstellung die Übereinstimmung seiner eigenen Werte mit denjenigen des künftigen Unternehmens überprüfen. Diese stehen meistens im Leitbild und sind im Internet ersichtlich oder können im persönlichen Bewerbungsgespräch besprochen werden. So wird beispielsweise Shell als Mineralölförderer kaum Ökologie dominant in seinem Wertesystem führen. Als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin dann ökologische Forderungen zu stellen, wäre kaum zielführend.

Müssen Firmen also auf die Wünsche der Mitarbeitenden gar nicht eingehen?

Führungskräfte müssen wertrelevante Strömungen innerhalb des Unternehmens erkennen und Ideen der Mitarbeitenden ernst nehmen. Ob Wünsche und Ideen im Interesse des unternehmerischen Leistungsauftrags umgesetzt werden können, muss die Chefetage prüfen und entscheiden. Ob beispielsweise die gendergerechte Schreibweise eingeführt wird, ist letztlich ein Management-Entscheid, der allen Mitarbeitenden kommuniziert werden muss, damit die Rahmenbedingungen klar sind.

Was kann eine Firma tun, wenn die Mitarbeitenden an die Öffentlichkeit treten und von einem Geschehnis erzählen?

Damit üben die Mitarbeitenden Druck auf das Unternehmen aus. Das stärkt das gegenseitige Vertrauen von Arbeitgeber und Mitarbeitenden nicht gerade. So etwas passiert auch meist erst dann, wenn eine Firma es verpasst hat, Stellung zu beziehen, die Bedeutung von Themen unterschätzt hat oder mutmasslichem Fehlverhalten nicht klar und konsequent begegnet ist. Tritt ein Unternehmen frühzeitig in den Dialog mit den Mitarbeitenden und setzt seine Werte durch, kommt es nicht so weit.

Diversity ist im Trend: Sollten Firmen Diversität also von sich aus fördern?

Diversität kann ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen sein. Es lohnt sich also auf jeden Fall, Diversität und Inklusion zu fördern. Davon profitieren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch das Unternehmen. Denn schlussendlich geht es immer darum, das Potential aller Angestellten zu nutzen. Firmen, die beispielsweise Frauen nach der Babypause nicht mehr einstellen wollen, denken zu kurzfristig. Gerade Fachspezialistinnen und weibliche Führungskräfte verlieren ihr Potential nicht, nur weil sie Mutter geworden sind.

Die Uefa hatte während der EM im Sommer die Regenbogenfarben im Münchner Stadion abgelehnt. Was riskieren Unternehmen mit so einer Aktion?

Die Grenzen von Sport und Politik verwischen leider immer stärker als gewünscht. Die Uefa verpasste die Chance, ein klares Statement zu setzen und Sympathien für den Verband zu gewinnen. Stattdessen erlag sie dem politischen Druck einzelner Länder, die sich leider nicht mit demokratischem und gesellschaftlichem Fortschritt rühmen können. Für ein Unternehmen sehe ich dies etwas differenzierter. Sich zu Diversität und Inklusion zu bekennen, kann imagemässig und wettbewerbstechnisch Vorteile bringen. Das muss es aber nicht zwingend: Es hängt stark von der Branche, Marktbedeutung und dem öffentlichen Interesse am Unternehmen ab. So kann es auch negative Folgen haben, wenn sich eine Firma lautstark zu gewissen Werten bekennt, diesem Bekenntnis dann aber keine Taten folgen lässt. In diesen Fällen ist eine neutrale Haltung besser.

Sind LGBTQ-Labels sinnvoll?

Vissa: «Das Swiss LGBTI-Label zeichnet Unternehmen und Organisationen aus, die eine offene und inklusive Organisationskultur leben. Nebst einem Dutzend KMUs sind bereits zahlreiche Unternehmen wie ABB, Allianz, BDO, Credit Suisse, Roche, Novartis, Nestlé, MSD, SAP, SWISS, Swisscom, UBS, ZKB und viele mehr Träger dieses Labels. Dieses Label macht allerdings nur Sinn, wenn das Bekenntnis auch innerhalb der Firma gelebt wird. Sonst kann dieses Engagement schnell an Glaubwürdigkeit verlieren und das Image eher Schaden nehmen.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Barbara Scherer erschienen am 18.12.2021 auf www.20min.ch

 

 

SRG-Mitarbeitende erhalten 2022 bessere Arbeitsbedingungen

Längerer Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, Anlaufstellen für sexuelle Belästigung, Erhöhung des Einstiegslohnes

Die SRG hat einen neuen Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelt. Die SRG wird alle Einstiegslöhne auf mindestens 80 Prozent des Referenzlohns anheben. Homeoffice bleibt freiwillig und alle Mitarbeitenden haben vor Ort einen Arbeitsplatz. Wer 58 Jahre oder älter ist, kann sein Arbeitspensum neu um zehn Prozent pro Jahr reduzieren. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), zu der SRF und Radio SRF gehören, hat mit der Gewerkschaft «Schweizer Syndikat Medienschaffender» (SSM) einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ausgehandelt. Er wird im Januar in Kraft treten und am 31.12.2025 auslaufen. Laut der Gewerkschaft bringt er «erstmals seit Jahren» Verbesserungen. Die Mitglieder hätten dem GAV mit «grosser Mehrheit» zugestimmt.

Mehr Lohn, freiwilliges Homeoffice

Für die Mitarbeitenden der SRG bedeutet das, dass sie höhere Einstiegslöhne erhalten. Das Unternehmen setzt diese neu bei 80 Prozent des Referenzlohns an. Das heisst, dass die SRG die Löhne aller Mitarbeitenden, die bis jetzt weniger verdient haben, auf 80 Prozent des Richtlohns anheben wird. Der neue GAV soll zudem die Erfassung der Arbeitszeit vereinfachen. Homeoffice bleibt freiwillig, wobei die Mitarbeitenden ihre Präferenz widerrufen können. Für sämtliche Angestellten soll nach wie vor ein Arbeitsplatz am Arbeitsort zur Verfügung stehen.

Gleichbehandlung aller sexuellen Orientierungen

Die SRG verlängert den Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub um je zwei Wochen. Sie stellt alle Formen des Zusammenlebens und der sexuellen Orientierung gleich: Auch gleichgeschlechtliche Paare erhalten zusätzliche Urlaubstage, etwa bei der Adoption eines Kindes oder bei Krankheit des Partners oder der Partnerin. Die SRG schafft zudem eine Anlaufstelle für Mobbing und sexuelle Belästigung. Es tritt ein neues Reglement zum Verhalten am Arbeitsplatz in Kraft, mit Vertrauenspersonen, an die sich Betroffene wenden können.

Kürzer treten am Ende der beruflichen Laufbahn

Wer 58 Jahre oder älter ist, hat neu die Möglichkeit, das Arbeitspensum um zehn Prozent pro Jahr zu reduzieren – maximal auf 50 Prozent des ursprünglichen Pensums. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge für die Pensionskasse bleiben dabei gleich. Die SRG wird zudem eine Schiedskommission und ein Schiedsgericht einsetzen, die bei Konflikten über die Anwendung des GAVs mehr Kompetenzen erhalten sollen. «Wir deuten diesen verbesserten Gesamtarbeitsvertrag als Zeichen, dass die Sozialpartnerschaft lebt und dass SRG bereit ist, auch in Zeiten, in denen sich die Medienbranche in der Krise befindet, anständige Bedingungen für die Arbeit ihrer Mitarbeitenden zu gewährleisten», schreibt das «Schweizer Syndikat Medienschaffender» in einer Mitteilung. Das sei auch im Interesse der Öffentlichkeit, die die SRG finanziere, so die Gewerkschaft.

 

Weiterlesen - ein Beitrag von Marcel Urech erschienen am 15.12.2021 auf www.20min.ch

 

Freie Wahl der Arbeitszeit: Jetzt setzen erste Firmen auf völlig flexible Arbeitswochen

Während des Tages Sport treiben oder die Kinder hüten und in der Nacht oder sonntags die Arbeit nachholen. Von einem solchen Modell könnten alle profitieren. Doch die gesetzlichen Hürden sind gross. Eine Firma lässt ihren Angestellten völlig freie Hand bei der Einteilung der Arbeitszeit. Viele Beschäftigte würden sich ein solches Modell wünschen. Doch die Gefahr der Selbstausbeutung steigt damit.

Die Vier-Tage-Woche boomt. Immer mehr Firmen setzen auf eine kürzere Arbeitszeit bei gleichem Lohn oder testen das Konzept. Erst im Oktober stellte das Solothurner Softwareunternehmen Seerow auf einen Test um, bei dem die Angestellten einen Tag weniger arbeiten, um mehr Zeit zur Erholung zu haben. Das komme gut an, wie zig Beispiele zeigen, darunter ein Mega-Versuch mit Regierungsangestellten in Island. Zahlreiche Mitarbeitende wollen seither nicht mehr zur normalen Arbeitszeit zurück. Auch in der Schweiz würden sich 84 Prozent der Erwerbstätigen laut einer Erhebung der Boston Consulting Group gerne von starren Arbeitszeiten verabschieden. 31 Prozent wünschen sich sogar die totale Flexibilität. Das bietet seit Anfang Jahr das britische Ingenieurbüro Arup. Tausende Angestellte können frei wählen, wann sie arbeiten. So können sie am Tag Sport treiben oder Zeit mit der Familie verbringen und am Abend oder sonntags die Arbeit nachholen. Alles ist erlaubt, solange die Angestellten auch zwei Tage pro Woche im Büro anwesend sind, schreibt die «Handelszeitung».

In der Schweiz nicht erlaubt

Das Schweizerische Arbeitsgesetz lässt ein solches System aber nicht zu. Grund dafür ist das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot, sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Uni Zürich.

Sonntagsarbeit braucht Gesetzesänderung

«Die meisten Unternehmen kennen flexible Arbeitszeiten», sagt Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen. Allerdings nicht komplett frei. Denn die Arbeit in der Nacht, an Sonntagen und an gesetzlichen Feiertagen ist wegen des Gesundheitsschutzes verboten und nur mit einer entsprechenden Bewilligung erlaubt. Diese wird nur aus besonderen Gründen erteilt, sagt Arbeitsrechtsexperte Nicolas Facincani. Anspruch darauf haben etwa Betriebe wie Kraftwerke. Im Detailhandel darf höchstens an vier Sonntagen im Jahr ohne Bewilligung gearbeitet werden. Insgesamt darf nicht mehr als an fünfeinhalb Tagen pro Woche und am Tag nicht länger als 14 Stunden gearbeitet werden, Ausnahmen sind nur begrenzt möglich. Für die totale Flexibilität bräuchte es laut Facincani Gesetzes- und Verordnungsänderungen. Nur fürs Top-Kader gelten die Regeln nicht. Wenn die Angestellten so arbeiten könnten, wie es ihrem persönlichen Rhythmus entspricht, profitieren die Firmen. «Wenn festangestellte Mitarbeiter selber bestimmen können, wann sie arbeiten wollen, sind sie produktiver und motivierter», sagt Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI). Auch für die Angestellten wäre es «eine grosse Hilfe, um alle Lebensbereiche unter einen Hut bringen zu können», sagt Arbeitspsychologin Corinne Baumgartner von der Organisationsberatung Conaptis und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie SGAOP. Auch steige das Selbstwertgefühl, wenn man das Vertrauen geniesse, selber entscheiden zu können.

Gefahr der Selbstausbeutung

Die Expertin warnt aber auch vor den Nachteilen. Die neue Freiheit und die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit stelle hohe Anforderungen an die Selbstorganisation. «Abschalten und Erholung werden schwieriger und die Gefahr der Selbstausbeutung steigt», so Baumgartner. Verstärkt wird das durch die Echtzeitkontrolle am PC. «Keiner will der sein, dessen Symbol immer zuerst abwesend anzeigt», sagt die Expertin. «Die Kommunikation ist schwieriger, wenn man seltener gleichzeitig mit den anderen Angestellten arbeitet. Auch das Informelle und die Emotionen kommen ohne direkten Kontakt zu kurz», so Baumgartner. Dadurch könnte die soziale Unterstützung im Team abnehmen. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen, denn das Gefühl der Zugehörigkeit federt laut der Expertin viele Stressfolgen ab.

Für Vorgesetzte wirds schwieriger

Für Vorgesetzte werde es schwieriger, die Mitarbeitenden zu führen und zu spüren, wie es ihnen geht. Deshalb gelte es, das Direkte der zwischenmenschlichen Interaktion sicherzustellen, denn nur durch persönlichen Kontakt lasse sich Vertrauen aufbauen. Betriebe müssten deshalb ihre Teams sorgsam pflegen. So könne man etwa im Team klären, ob die Kernarbeitszeit einzuhalten sind, zu welchen Zeiten man nicht mehr erreichbar sein möchte oder welche Strukturen es für Meetings braucht.

Weiterlesen - ein Beitrag von Fabian Pöschl erschienen am 13.12.2021 auf www.20min.ch