LGBTI-Themen werden ab 2024 dem Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann angegliedert

Fragen rund um die Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans sowie intergeschlechtlichen Personen (LGBTI) werden ab 2024 im Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) behandelt. Dafür werden zwei neue Stellen geschaffen. Der Bundesrat wurde am 25. Januar 2023 darüber informiert.

Die rechtliche Gleichstellung von LGBTI-Personen in der Schweiz hat sich mit der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm, der vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags beim Zivilstandsamt sowie der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verbessert. Trotzdem sind LGBTI-Personen in verschiedenen Lebensbereichen weiterhin mit Benachteiligungen konfrontiert. Die Schweiz setzt sich für die Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität ein. Dies entspricht ihrem innen- und aussenpolitischen Engagement zur Stärkung der Menschenrechte.

Aktuell gibt es in der Bundesverwaltung keine Einheit, die sich spezifisch mit LGBTI-Fragen befasst. Punktuell kümmern sich verschiedene Bundestellen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten darum. So beispielsweise das Bundesamt für Justiz bei Fragen zum Diskriminierungsschutz oder zur Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder das Bundesamt für Gesundheit bei Fragen zur Gesundheitssituation oder zur sexuellen Gesundheit. Aufgrund mehrerer parlamentarischer Vorstösse hat der Bundesrat geprüft, ob und wie die Bundesverwaltung eine koordinierende Rolle bei der Behandlung des LGBTI-Dossiers übernehmen könnte. Mit der Überprüfung wurde das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt. Es kam zum Schluss, die Thematik im EBG anzusiedeln. Das EBG fördert gemäss Gleichstellungsgesetz die Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen und setzt sich für die Beseitigung jeglicher Form direkter und indirekter Diskriminierung ein. Deshalb ist es gemäss Prüfung für eine Anbindung von LGBTI-Themen am besten geeignet.
Die Schwerpunkte des EBG bleiben weiterhin die Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann im Erwerbsleben und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Im Rahmen der neuen Aufgabe übernimmt das EBG die Beantwortung spezifischer parlamentarischer Aufträge und regelt die Zusammenarbeit mit anderen Bundesstellen, die sich weiterhin mit LGBTI-Fragen befassen. Ebenso unterhält es den Kontakt zu Kantonen und Gemeinden, die sich bereits um die Thematik kümmern und pflegt den Austausch mit Fach- und Nichtregierungsorganisationen. Eine wichtige Aufgabe wird es sein, den «Nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-feindliche «hate crimes»» auszuarbeiten, wie er im Postulat Barille (20.3820) verlangt wird. Dafür werden im EBG zwei Stellen geschaffen, die intern im EDI kompensiert werden.

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Suizidberatungen bei Pro Juventute haben sich verdoppelt

Bei Pro Juventute sind 2022 täglich doppelt so viele Beratungen zu Suizidgedanken eingegangen als vor der Pandemie. Markant gestiegen sind auch die Kriseninterventionen. Als Auslöser sieht das Jugendhilfswerk die «Multikrise».

Seien es 2019 noch 57 Kriseninterventionen wegen Suizidgefährdung gewesen, habe sich die Zahl 2022 mit 161 Interventionen fast verdreifacht, schreibt Pro Juventute. In solchen Situationen werde von der Telefon- oder Onlineberatungsstelle 147 auch Polizei oder Ambulanz aufgeboten. Die Zahl der Beratungen zu Suizidgedanken bei 147 habe sich von täglich drei bis vier im Jahr 2019 auf sieben bis acht im vergangenen Jahr verdoppelt. Der Beratungsaufwand habe in den letzten zwei Jahren insgesamt um 40 Prozent zugenommen. Auch Essstörungen und Selbstverletzung seien ein grosses Thema. Zum Thema Angst seien die Beratungen um 30 Prozent gestiegen. Das Jugendhilfswerk führt die gestiegenen Zahlen vor allem auf die «Multikrise» zurück. «Corona-Pandemie, Klima-Krise, Ukraine-Krieg, drohende Inflation, soziale Ungerechtigkeit: Krisen überlappen sich und treffen Kinder und Jugendliche in einer besonders verletzlichen Lebensphase», schreibt Pro Juventute.

Lange Wartezeiten

Kinder und Jugendliche warten derzeit lange auf eine Gesprächsmöglichkeit respektive einen Behandlungsplatz. Vor der Pandemie habe es im Durchschnitt einen Monat bis sechs Wochen gedauert, bis Jugendliche einen Termin für eine psychiatrische Behandlung erhielten. Die Wartefrist habe sich nun auf mehrere Monate verlängert. So verzeichneten Kliniken in Bern und Zürich 2021 über 50 Prozent mehr suizidale Minderjährige auf den Notfallstationen als im Vorjahr, so Pro Juventute. Hier sei die Politik gefordert, die Versorgung der Jugendlichen und Kinder zu verbessern, zum Beispiel mit niederschwelligen Angeboten und Prävention.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 23.01.2023 auf www.srf.ch

Postpartale Depressionen betreffen 10'000 pro Jahr - Papis in der Krise

Jeder zehnte Vater wird nach der Geburt seines Kindes depressiv. Hilfe erhalten sie nur selten.

Ein plötzliches Stechen in der Brust. Atemnot. «Ich hatte Todesangst.» Marcelo Vicente (28) sitzt im Büro, als alles zusammenbricht. Der frisch gebackene Papi aus dem Kanton Nidwalden landet im Notfall. Dort fällt die Diagnose: Depression und Angststörung mit starken psychosomatischen Symptomen. Vicente verbringt vier Wochen in einer Klinik. Nach einer Geburt erkranken 15 Prozent der Mütter an einer postpartalen Depression (nicht zu verwechseln mit dem Babyblues, s. Kasten). Doch frisch im Wochenbett nicht vor Glück zu sprühen, ist verpönt. Daher gilt allzu oft: Schweigen statt Erzählen. Lächeln, statt Hilfe suchen. Die Mütter erfahren wenig Unterstützung – die Väter werden oftmals ganz vergessen. Bei ihnen ist eine postpartale Depression ein noch viel grösseres Tabu. Dabei ist laut Studien mindestens jeder Zehnte betroffen. In der Schweiz sind vergangenes Jahr 89'000 Babys geboren. Das macht konservativ gerechnet 13'000 neu erkrankte Frauen und 10'000 Väter.

Häufigste Komplikation einer Geburt

«Psychische Erkrankungen sind die häufigste Gesundheitskomplikation nach einer Geburt – und doch spricht man viel mehr über den plötzlichen Kindstod», sagt die promovierte Psychologin Fabienne Forster, die zur psychischen Gesundheit von Eltern forscht. «Wir sprechen von einer sehr hohen Anzahl betroffener Personen, die unentdeckt und unbehandelt bleiben – besonders bei Vätern. Das hat massive volkswirtschaftliche Folgen.» Durch die Pandemie hat sich die psychische Belastung junger Familien verstärkt. Bei dem Verein Postpartale Depression Schweiz meldeten sich dieses Jahr fünfmal so viele Väter wie 2019. Beim ersten Schweizer Väterberater, dem in Bern ansässigen Remo Ryser (50), haben sich die Beratungen seit seinem Start 2019 vervierfacht. «Nicht nur Mütter, auch Väter brauchen manchmal emotionalen Support», so Ryser.

Fokus lag lange auf Frauen

Lange Zeit wurde über postpartale Depressionen bei Männern kaum nachgedacht. Der Fokus lag auf den Frauen, die oft den Grossteil der Unterstützungsarbeit in der Zeit nach der Geburt leisten. «Aber natürlich löst eine Geburt in einem Mann etwas aus», sagt Forster. Emotional – und physiologisch: «Man geht davon aus, dass der Testosteronspiegel der Papis im Wochenbett deutlich sinkt. Gleichzeitig steigt das Oxytocin-Level, das sogenannte Kuschelhormon.» Eine gescheite Reaktion der Natur mit dem Ziel, den Papa auf die neue Rolle einzustellen und enger an die Familie zu binden. Allerdings geht man in der neuen Forschung gleichzeitig davon aus, dass dieses Zusammenspiel ein Risikofaktor ist für die Depression bei Männern. «Die Papis werden verletzlicher.»

Dario Scuto (40) ging es nach der Geburt seiner Tochter seelisch nicht gut. «Meine Gefühle spielten verrückt und zu Beginn empfand ich es als schwierig, eine Bindung zu ihr herzustellen. Sie war ja oft bei der Mutter zum Stillen und ich musste mich um den älteren Bruder kümmern.» Väter hätten teils Mühe, ihren Platz zu finden, sagt Annika Redlich (40), Geschäftsstellenleiterin des Vereins Postpartale Depression Schweiz: «Es gibt immer wieder Väter, die sich durch die enge emotionale Beziehung zwischen Mutter und Baby überflüssig fühlen. In einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub lässt sich keine tiefe Beziehung zu einem Neugeborenen aufbauen.» Kürzlich zeigte eine SonntagsBlick-Umfrage: Die Papis von heute wollen präsent sein. 70 Prozent sagen, dass sie sich für ihre Kinder «immer Zeit nehmen» und eine «innige Beziehung» zu ihnen pflegen. Gleichzeitig ist da die Arbeit ausser Haus.

Retraditionalisierung durch Geburt eines Kindes

Die Geburt eines Kindes trägt oft zu einer Retraditionalisierung bei: «Das alte Ernährermodell gilt als gestrig – trotzdem sind Väter immer noch oft Haupternährer der Familie», sagt der Männerbeauftragte Markus Theunert (49). Das macht Druck. «Es gibt immer noch dieses Männerbild des Vaters, der das Geld heimbringen und stark sein muss – dabei sind wir auch nur Menschen, keine Roboter», sagt Marcelo Vicente. Väter würden nie gefragt, wie es ihnen geht, ob sie Hilfe brauchen, sagt Fabienne Forster. «Und wenn sie sich schlau googlen wollen, steht da nur: Mutter, Mutter, Mutter.». Alain Steiner* und seine Frau hatten zwei Schreibabys, bekamen jahrelang nur drei Stunden Schlaf pro Nacht. «Ich sagte mir immer wieder: Da muesch jetzt eifach dure!»» Doch nur mit Resilienz konnte er den Alltag irgendwann nicht mehr stemmen. «Den Tiefpunkt erreichte ich, als ich fühlte, dass ich mein Kind schütteln möchte. Ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand im Vorfeld sagt, dass so etwas passieren kann und mir aufzeigt, an welche Stellen ich mich wenden kann.» Betroffene leiden oft unter Schlafstörungen oder Rückenschmerzen, erkennen darin aber keine psychosomatischen Probleme – oder ignorieren sie. Wie oft bei psychischen Erkrankungen gibt es immer noch eine hohe Schwelle, sich Hilfe zu holen. Väterberater Remo Ryser erstaunt dies nicht: «Sprechen Männer über ihre Überforderung, gelten sie als Weichei.» Marcelo Vicente erhielt nach seinem Zusammenbruch nicht nur Unterstützung: «Gewisse Personen meinten: Es war ja kein Herzinfarkt, also alles nicht so tragisch.» Männer hätten daher gelernt, ihre Gefühle der Überforderung und Angst mit sich selbst auszumachen, sagt Annika Redlich. Redlich: «Überwinden sie ihre Scham, und melden sich bei uns, verpacken sie ihr Leiden oft in das Wort Burnout, welches gesellschaftlich positiver behaftet ist.»

Oft unerkannt

Doch selbst wenn sich Väter Hilfe holen, bleibt die postpartale Depression oft unerkannt. «Es kommt immer noch vor, dass ein betroffener Vater an eine Fachperson gelangt, der noch nicht bewusst ist, dass die Krankheit auch Männer betrifft.» Für Markus Theunert gibt es daher eine zentrale Botschaft: «Eine Depression bei Männern sieht oft nicht so aus, wie man sich eine Depression vorstellt.» Anstelle von Niedergeschlagenheit und Antriebsarmut neigen Männer zu Reizbarkeit, Aggressivität und impulsiven Handlungen. Annika Redlich: «Sie machen zynische Bemerkungen, ziehen sich zurück. Sie gamen, konsumieren mehr Alkohol, oder versuchen den Alltag mit übermässigem Sport zu verdrängen.» Männer sind anders krank als Frauen. In vielen Bereichen der Medizin gilt der Mann als Prototyp. Frauen sterben öfter an einem Herzinfarkt, weil ihre als «untypisch» geltenden Symptome nicht erkannt werden. Bei Depressionen ist es umgekehrt: die «typischen» Anzeichen orientieren sich am Leidensbild der Frauen. Die Konsequenz: Betroffene Männer erhalten oft keine Hilfe. Vermutlich ist ihre Suizidrate deshalb massiv höher. Männer und Frauen machen in der Zeit nach der Geburt anderes durch. «Daher wäre es wichtig, dass sich Väter in einer Krise mit einem anderen Mann austauschen könnten», sagt Remo Ryser. Dies scheitert jedoch oft an den aktuellen Gegebenheiten: Die Hebammen, das Pflegefachpersonal und die Beratenden sind meist weiblich. Genauso beziehen sich Studien über die Zeit nach der Geburt vorwiegend auf Frauen, die Klinik-Angebote sind meist als Mutter-Kind-Stationen konzipiert. «In unserem Vorbereitungskurs gab es nur eine Folie, die sich mit Vätern befasste. Und dort stand: so unterstützen sie ihre Frau», erzählt Dario Scuto. «Das ganze System ist auf die Mütter fokussiert, dabei leben wir nicht mehr in den Fünfzigerjahren. Heute sind wir Männer doch wie ein zweites Mami.»

Es braucht mehr Fachpersonen

Für Markus Theunert ist daher klar: «Es braucht mehr sensibilisierte Fachpersonen, mehr Väterberater, und zu jedem Geburtsvorbereitungskurs gehört ein Vaterfokus.» Auf politischer Ebene sei es zentral, die Unterversorgung im psychischen Sektor zu beheben und gleichstellende Massnahmen zu fördern, sagt Fabienne Forster: «Studien zeigen: je mehr Vaterschaftsurlaub Männern zur Verfügung steht, desto seltener entwickelt sie Depressionen.» Es gibt Lichtblicke: Forster entwickelt aktuell eine Fortbildung für Hebammen und Pflegefachpersonen zum Thema postpartale Depressionen bei Männern. Schweizweit sind Beratungen für Väter auf dem Vormarsch. Nach Bern stellten letztes Jahr auch die Kantone St. Gallen und Zürich ihre ersten Väterberater ein. In Bundesbern rückt währenddessen die Gendermedizin in den Fokus: Der Nationalrat hat kürzlich der Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms zugestimmt. Und Marcelo Vicente ist dank regelmässiger Therapie, Sport und fixer Strukturen zu Hause inzwischen wieder gesund. «Ich fühle mich endlich wieder glücklich und entspannt.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Camille Kündig erschienen am 22.01.2023 auf www.blick.ch

Viele Bedürftige verzichten auf Sozialhilfe – Kirche hilft

Immer mehr Menschen verzichten freiwillig auf Sozialhilfe. Hilfsorganisationen stossen darum an ihre Grenzen. Die Stadt Bern ergreift Massnahmen. Unter anderem aus Angst, ausgewiesen zu werden, verzichten viele auf Sozialhilfe. Zusammen mit der Kirche möchte die Stadt Bern nun mit einem Pilotprojekt gegensteuern.

2019 wurde das revidierte Ausländer- und Integrationsgesetz eingeführt. Eine der Folgen: Wer mit einem B-Ausweis Sozialhilfe bezieht, dem kann die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden. Und zwar, wenn jemand «dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist». Darum verzichten viele Menschen auf Sozialhilfe. Neben der drohenden Ausschaffung können aber auch Scham oder Stolz Gründe für den freiwilligen Verzicht sein. Wie «Schweiz aktuell» berichtet, hätten Hilfsorganisationen darum derzeit einen besonders grossen Anlauf. In der Stadt Bern schreitet nun die katholische Kirche ein. Zusammen mit der Stadt soll eine Überbrückungshilfe geschaffen werden. Erstere finanziert das Unterfangen, während die Kirche die Hilfen organisiert.

Der Leiter der Fachstelle Sozialarbeit der katholischen Kirche Bern, Mathias Arbogast, sagt: «Wir haben Familien mit unsicheren Einkünften, Menschen mit Erwerbsarmut, alleinerziehende Elternteile und: Menschen in akuten Krisen.» Hinzu käme dann ein Teil von Migranten, die ihren Sozialhilfeanspruch bewusst nicht geltend machen. Arbogast rechnet damit, dass sich die Situation aufgrund der Inflation weiter verschärft. Franziska Teuscher, Sozialdirektorin der Stadt Bern (GB), schildert weitere Gründe für den freiwilligen Verzicht auf Sozialhilfe. So hätten manche die falsche Vorstellung, dass sie bei Sozialhilfe oder Nothilfe registriert oder gar überwacht würden. «Das ist eine Fehlinformation», so Teuscher. Bei der Überbrückungshilfe über die katholische Kirche sei der Zugang jedoch niederschwelliger, die Angst vor Überwachung geringer.

Gegen «parallele Sozialhilfe»: FDP machte Hilfsprojekt Strich durch die Rechnung

Das Pilotprojekt der Stadt Bern läuft noch dieses Jahr und soll im Herbst ausgewertet werden. Doch juristisch könnte sich die Sache auf wackeligen Beinen bewegen. Ein ähnliches Unterfangen in der Stadt Zürich schlug nämlich fehl: Während der Pandemie hatte die Stadt eine Basishilfe aufgezogen, von der auch Sans-Papiers, also Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, Gebrauch machen konnten. Die FDP schritt ein und stoppte das Projekt mit einer Beschwerde, die vom Bezirksgericht gutgeheissen wurde. Michael Schmid (FDP) vom Gemeinderat der Stadt Zürich begründet: «Ausländerrecht und Sozialhilferecht geben klar vor, wer Anspruch hat auf Sozialhilfe.» Alle Menschen hätten grundsätzlich das Recht auf verfassungsrechtliche Nothilfe, doch: Die Stadt könne nicht «von sich aus Sozialhilfe oder eine Parallel-Sozialhilfe aufbauen, wenn dies das übergeordnete Recht nicht zulässt.» In Bern hingegen sei die Überbrückungshilfe so ausgestaltet worden, dass sie mit dem kantonalen Gesetz vereinbar ist, versichert Teuscher. Somit handle es sich nicht um «Sozialhilfe auf städtischer Ebene».

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 18.01.2023 auf www.nau.ch

 

Weniger Stress: Lohn für pflegende Angehörige zahlt sich aus

Caritas zahlt pflegenden Angehörigen in den Kantonen Luzern und Zug einen Lohn. Ziel ist es, dies schweizweit zu tun.

Seit sechs Jahren pflegt Vincenza Pappalardo ihren heute 84-jährigen Vater. Als er eine Hirnblutung erlitt, beschloss sie, zu ihm zu ziehen und ihn zu pflegen. Seither kann sie nur noch in einem kleinen Pensum ihrer sonstigen Arbeit nachgehen.

Jährliche Kosten von 3.7 Milliarden Franken

Seit einem halben Jahr ist die 45-Jährige nun von der Caritas angestellt und erhält für die Pflege ihres Vaters einen Lohn von 35 Franken pro Stunde. Dies entlaste sie enorm. Sie habe jahrelang immer wieder Jobs für ein paar Monate gesucht. Wenn ihr Vater wieder mehr Pflege brauchte, musste sie wieder reduzieren. «Das ist ein Stress. In der Arbeitswelt musst du ja dann auch schauen, dass es irgendwie passt.» In der Schweiz pflegen fast 600'000 Menschen ihre Angehörigen. Freiwillig, ohne Bezahlung. Die Gefahr, in die Armut abzurutschen, weil die Angehörigen Pflege und Beruf nicht aneinander vorbeibringen, ist gross. Würde man all diese Angehörigen für ihre Betreuungsarbeit entschädigen, hätte dies Kosten von 3.7 Milliarden Franken pro Jahr zur Folge. Dies hat das Bundesamt für Statistik ausgerechnet.

Nicht nur Geld – auch Beratung

Die Caritas setzt seit einem halben Jahr genau da an. Was als Pilotprojekt begann, wurde inzwischen in den Kantonen Luzern und Zug fix eingeführt. «Wir sind auf grosses Interesse gestossen bei den pflegenden Angehörigen in den Kantonen Luzern und Zug. Wir haben aber auch gesamtschweizerisch Anfragen erhalten, wann dieses Angebot auch in anderen Kantonen gelte», sagt Veronika Lagger, Pflegeverantwortliche bei Caritas. Die Caritas zahlt allerdings nicht nur Lohn: Zum Angebot gehört auch, dass die Angehörigen professionelle Betreuung erhalten. Etwas, was Vincenza Pappalardo sehr schätzt: «Ich bin viel gelassener, weil ich weiss, dass ich nicht mehr alleine bin.» Pflegeleiterin Veronika Lagger besucht Vincenza Pappalardo regelmässig und berät sie. «Wenn sich ein neues Pflegeproblem ergibt, dann erhalte ich ein Feedback, wie ich mit der Situation am besten umgehen kann», sagt Vincenza Pappalardo. Es seien vor allem Frauen, die die sogenannte Care-Arbeit erledigen. Töchter pflegen ihre Eltern, Ehefrauen ihre Partner. Auch bei dem Pilotprojekt der Caritas sei das nicht anders. «Inzwischen haben wir 13 pflegende Angehörige angestellt. Vier stehen vor einem Vertragsabschluss», führt Veronika Lagger aus. Lediglich ein Viertel davon sei männlich.

Nur Pflege wird bezahlt

Sie sei dankbar, dass die Caritas gesehen habe, dass pflegende Angehörige Hilfe benötigen, sagt Vincenza Pappalardo. Allerdings wird nur die pflegerische Arbeit bezahlt. Die zusätzliche Betreuung ist dabei nicht enthalten. Das sind die gesetzlichen Grundlagen und darauf stützt sich die Caritas. Veronika Lagger sieht bei der Abgrenzung von Pflege und Betreuung durchaus offene Fragen: «Betreuung ist ein grosser Teil, den die pflegenden Angehörigen leisten, und der wird bei diesem Projekt tatsächlich so nicht entschädigt.» Und sie fügt hinzu: Die Gesellschaft müsse sich überlegen, was ihnen auch die freiwillige Betreuungsarbeit wert sei. Bei der Caritas sei man froh, dass immerhin die pflegerische Arbeit entlohnt wird. Und dass das Projekt bald auf die ganze Zentralschweiz ausgeweitet wird. In den Kantonen Obwalden, Nidwalden und Schwyz laufen Bewilligungsverfahren. Ziel sei es, dass Caritas pflegende Angehörige in der ganzen Schweiz anstellen und für ihre Arbeit bezahlen kann.

Weiterlesen - ein Beitrag erschienen am 17.01.2023 auf www.srf.ch

Die Schweiz wird immer älter – erstmals 100’000 Neurentner

Die wachsende Zahl an Menschen, die in Rente gehen, stellt die Schweizer Wirtschaft vor Herausforderungen. Neben Fachkräftemangel gibt es auch einen generellen Arbeitskräftemangel. Die Zahl der Pensionierten nimmt in der Schweiz stetig zu, im Jahr 2021 haben erstmals 96’292 Menschen zum ersten Mal AHV bezogen. Bis 2040 könnten potenziell bis zu 321’000 Arbeitskräfte fehlen, da es mehr Menschen gibt, die 65 werden, und es weniger 20-Jährige gibt. Die Zuwanderung kann zwar helfen, die anstehenden Probleme etwas abzuschwächen, doch die wichtigsten Zuwanderungsländer sind von einer noch drastischeren Alterung der Bevölkerung betroffen.

Im Jahr 2021 haben laut einer am Donnerstag veröffentlichten Auswertung des Bundesamtes für Statistik (BFS) 96’292 Menschen in der Schweiz zum ersten Mal die AHV bezogen. Diese Zahl wächst stetig weiter an. Noch im letzten Jahr waren es rund 10’000 Personen weniger. Gegen Ende von diesem Jahrzehnt wird laut dem «Tages-Anzeiger» erwartet, dass über 2,2 Millionen Menschen innerhalb der Schweiz pensioniert sein werden. Heute sind es 1,7 Millionen. Während das Geschlechterverhältnis beim Bezug von Leistungen aus der AHV relativ ausgeglichen sei, bezogen deutlich mehr Männer eine Leistung aus der zweiten oder dritten Säule als Frauen, heisst es in der Medienmitteilung des Bundes. Dies, weil Frauen aus familiären Gründen häufiger als Männer auf eine Erwerbstätigkeit verzichten beziehungsweise Löhne beziehen, die unter der Eintrittsschwelle für die berufliche Vorsorge liegen.

Gravierende Auswirkungen

Die Generation der Babyboomer geht in Rente und nicht genügend junge Arbeitskräfte rücken nach, deshalb entsteht eine Lücke bei den Erwerbstätigen. Zwischen 2023 und 2029 werden 788’000 Personen das Alter von 65 Jahren erreicht haben, während es nur 640’000 neue 20-Jährige gibt. Der «Tages-Anzeiger» bezieht sich bei dieser Zahl auf Berechnungen des Kompetenzzentrums für Demografie in Basel. Die Differenz von 148’000 stellt die Lücke der potenziellen Arbeitskräfte dar. Diese soll sich bis 2040 auf 321’000 potenzielle Arbeitskräfte erhöhen.Die Folgen, wenn sich die Zahl stetig vergrössert: «Neben einem Fachkräftemangel haben wir mittlerweile auch einen generellen Arbeitskräftemangel», sagt der Basler Demograf Manuel Buchmann gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Nicht nur hoch qualifizierte Informatiker und Ingenieure würden fehlen, sondern auch mittel und tief qualifizierte Arbeitskräfte in der Gastronomie und der Pflege.

Zuwanderung als Lösung?

In der Zukunft werden sich diverse Fragen in Bezug auf die Schweizer Wirtschaft stellen. Eine davon: Wie verändern sich die Steuereinnahmen und Ausgaben? Insbesondere für Arbeitgebende sei es wichtig, die Bedeutung der Fachkräftesituation auf Ebene der Unternehmensstrategie zu verstehen und frühzeitig Massnahmen zu treffen, so Manuel Buchmann. Zwar könne die Zuwanderung dazu beitragen, die anstehenden Probleme etwas abzuschwächen, doch reichen werde das nicht.Die Nettozuwanderung müsste deutlich und nachhaltig ansteigen, doch: «Weil unsere wichtigsten Zuwanderungsländer von einer noch drastischeren Alterung der Bevölkerung betroffen sind, ist dies nicht wirklich wahrscheinlich», so Buchmann. 

Weiterlesen - ein Beitrag von Justin Arber erschienen am 13.01.2023 auf www.20min.ch