Tiefe Mieten geben den Ausschlag Wohin Sozialhilfe-Bezüger ziehen

Gibt es Sozialhilfe-Tourismus wirklich? Forscher haben dies untersucht. Ihr Fazit: Wie viel eine Gemeinde zahlt, spielt keine Rolle – entscheidend sind günstige Wohnungen.

Vor einem Jahrzehnt ging ein Schreckgespenst um: der Sozialhilfe-Tourist – mittellose Menschen, die von einer Gemeinde in die andere ziehen – angelockt durch grosszügige Leistungen. Das Thema beschäftigte Lokalbehörden in ganz Europa; insbesondere Ausländer gerieten dabei ins Visier. Auch manche Gemeinden in der Schweiz schlugen Alarm, weil sie überdurchschnittlich viele Sozialhilfebezüger anzogen. Doch gibt es den Sozialhilfe-Tourismus wirklich? Um dies zu beantworten, wertete ein Team um ETH-Professor und Migrationsforscher Dominik Hangartner (41) die Daten von Sozialhilfebezügern in den Jahren 2005 bis 2015 aus. Fazit: Es gibt keine nennenswerten Wohnungswechsel wegen Sozialhilfe – weder von Schweizern noch von Ausländern. Sozialhilfebezüger ziehen zwar durchaus um. Doch erstens tun sie das weniger häufig als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und zweitens spielt die Höhe der Sozialleistungen dabei eine untergeordnete Rolle. Zentral für die Auswahl des neuen Wohnorts sind vielmehr tiefe Mieten. Und, im Falle von ausländischen Sozialhilfebezügern, die Präsenz von Mitbürgern, also von sozialen Netzwerken.

Gibt es Sozialhilfe-Touristen?

Um herauszufinden, ob es einen Sozialhilfe-Tourismus gibt, gingen die Forscher in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie wie folgt vor: Sie berechneten, wie gross der maximale Gewinn beim Umzug von einer knausrigen in eine grosszügige Gemeinde ist. Pro Monat könnte ein Sozialhilfebezüger demnach 142 Franken zusätzlich erhalten – bei einem Grundbetrag von 977 Franken keine unerhebliche Summe (Stand 2015). Doch offenbar war das kein reales Motiv für einen Wohnortswechsel. Denn in Wirklichkeit erhielten Schweizer Bezüger nach einem Umzug im Schnitt lediglich 15 Franken, Ausländer 22 Franken mehr als zuvor. «Angesichts der tiefen Beträge gehen wir nicht davon aus, dass die Menschen deswegen umziehen», sagt Hangartner. Denn die sozialen und finanziellen Kosten für einen Umzug seien bedeutend höher. Ein Zusammenhang bestehe hingegen zwischen Sozialhilfequote und Mietpreisen einer Gemeinde: Tiefere Mieten führen dazu, dass sich dort mehr Sozialhilfebezüger niederlassen. Zudem ziehen die Betroffenen tendenziell von kleinen in grössere Gemeinden – ausländische Sozialhilfebezüger zudem am liebsten an Orte, wo bereits andere ihrer Nationalität leben. Das sind ebenfalls häufig grosse Städte.

«Diese Faktoren scheinen eine wichtigere Rolle zu spielen als die Höhe der Sozialhilfebeiträge», fasst Hangartner zusammen. Die zusätzlichen 20 Franken pro Monat seien demnach eher ein «Nebenprodukt» eines Wohnortwechsels. Die Forscher sind auch der Frage nachgegangen, welche Folgen es hat, wenn eine Gemeinde ihre Sozialhilfebeträge senkt oder erhöht. Resultat: «Wir stellen keine nennenswerte Ab- oder Zuwanderung von Sozialhilfebezügern fest.» Das gelte sowohl für Inländer wie Ausländer. Für Hangartner sind die Ergebnisse in ihrer Deutlichkeit überraschend. Das Urteil des Professors: «Es gibt wenig Anhaltspunkte dafür, dass die Behörden die Beträge aus Angst vor Sozialhilfe-Tourismus senken sollten.»

Alle haben Anrecht auf Sozialhilfe

Just um diese Art von Tourismus zu verhindern, hat die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) Richtlinien erlassen. Diese sind allerdings lediglich Empfehlungen; die Höhe des Grundbedarfs ist häufig Gegenstand politischer Debatten. Manche Gemeinden empörten sich in den 2010er-Jahren über ein Urteil des Bundesgerichts, gemäss dem auch renitente Personen Anrecht auf Sozialhilfe haben – und traten aus der Skos aus. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Zwar gibt es weiterhin Kantone, die sich nicht an die Skos-Richtlinien halten. So geht der Kanton Bern beim Grundbedarf von deutlich tieferen Ansätzen aus als die restliche Schweiz (siehe Karte). Zudem haben manche Kantone wie St. Gallen oder Bern die Erhöhung aufgrund der Teuerung in den letzten Jahren nicht mitgemacht. Das sind aber Ausnahmen: 21 von 26 Kantonen übernahmen die aktuellen Richtlinien. Skos-Geschäftsführer Markus Kaufmann (60) sieht sich durch die Ergebnisse der Studie bestätigt. «Wir konnten nie feststellen, dass die Leute alleine wegen der Höhe des Grundbedarfs umziehen.» Viele seien auch gar nicht sonderlich mobil, denn ein Drittel der Sozialhilfebezüger sind Kinder. «Diese will man ja nicht einfach aus der Schule reissen.»

Tiefe Zahlen

Dass die Debatte über die Sozialhilfe wieder abgeflacht ist, mag auch mit den sinkenden Zahlen zu tun haben. Laut Schätzungen der Skos fiel die Quote der Bezüger Ende 2022 auf unter drei Prozent – der tiefste Wert seit 20 Jahren. Als Gründe nennt Kaufmann die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt; aber auch die Tatsache, dass es manche Menschen gar nicht wagen, Sozialhilfe zu beziehen. Sei es, weil sie ihre Aufenthaltsbewilligung riskieren, sei es aus Scham. «Das ist ein Problem», findet Kaufmann. Es sei nicht der Sinn der Sache, dass die Leute zu Hunderten für Gratisessen anstehen, wie das derzeit in manchen Städten geschehe. «Wir haben in der Schweiz ein System, um die Ärmsten aufzufangen. Genau dafür ist die Sozialhilfe da.»

Weiterlesen - ein Beitrag von Camilla Alabor (Redaktorin SonntagsBlick) erschienen am 12.02.2023 auf www.blick.ch

Eltern-Shaming – Mütter müssen sich für Kinderwunsch rechtfertigen

«Ist das noch vertretbar? Findest du das nicht egoistisch?» Wer plant, Kinder zu kriegen, muss sich heute teils dafür rechtfertigen. Eine Soziologin kritisiert das als übergriffig.

Junge Erwachsene, die sich mit der Kinderplanung auseinandersetzen, geraten vermehrt unter Druck von Gleichaltrigen. «Hast du dir das gut überlegt? Ich könnte das nicht verantworten», hören sie etwa häufig. Dies, weil einige es für nicht tragbar halten, in eine Welt, die von Katastrophen und Klimawandel heimgesucht wird und somit in eine unsichere Zukunft, Kinder zu setzen. Die feministische Aktivistin Anna-Béatrice Schmalz könne sehr gut nachvollziehen, dass es diesen Druck gebe. «Es ist ganz und gar nicht egoistisch, eine Familie zu gründen», sagt auch Philippe Gnaegi, Direktor bei Pro Familia Schweiz. Soziologin Katja Rost von der Uni Zürich ist von dieser Entwicklung zwar nicht überrascht. Verständnis hat sie aber keines. Die 25-jährige Studentin J.F. (25) plant gerade «relativ konkret», ein Kind zu bekommen. Nach verschiedenen Gesprächen mit Gleichaltrigen spürt sie jetzt aber plötzlich den Druck, das nicht zu tun: «Immer wieder kam der Punkt auf, dass es in der heutigen Situation nicht vertretbar sei, Kinder zu bekommen», erzählt sie.

«Ich wusste schon immer, dass ich Kinder haben möchte», sagt F. Bei gleichaltrigen Freundinnen stosse sie jedoch auf viel Unverständnis. «Sie bringen dann immer ganz viele Argumente dagegen. Die einen sagen etwa, dass es unfeministisch sei, Kinder zu kriegen. Andere finden, aus Sicht des Klimaschutzes sei es unverantwortlich, Kinder zu haben. Und letztlich sei es auch nicht vertretbar, ein Kind in eine Welt ohne sichere Zukunft zu setzen. Die Gleichaltrigen sprechen zwar von sich selbst, ich weiss aber, dass sie damit auch mich meinen.» F. habe dadurch das Gefühl, dass sie sich für ihren Kinderwunsch dauernd rechtfertigen müsse.

«Widerspricht den Prinzipien des Feminismus»

«Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es diesen Druck gibt», sagt die feministische Aktivistin Anna-Béatrice Schmaltz. Sie bestreitet jedoch, dass feministische Bewegungen diesen Druck ausübten. «Es ist die Gesellschaft, die Druck auf Frauen ausübt. Will eine Mutter zu Hause bleiben für das Kind, ist sie nicht emanzipiert – geht sie stattdessen arbeiten, ist sie eine Rabenmutter. Frauen können es gar nie recht machen.» Deshalb hätten Frauen, die einen Kinderwunsch hegen, heute teils auch das Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen. «Das widerspricht aber völlig den Prinzipien des Feminismus. Dieser steht dafür ein, dass jede und jeder sein Leben selbst gestalten darf. Wir kämpfen dafür, dass jede Frau solche Entscheidungen für sich treffen darf.»Den Klima-Aspekt entschärft Arpat Ozgul, Professor für Populationsökologie an der Universität Zürich. «Rein zahlenmässig mögen weniger Menschen weniger Konsum bedeuten, das stimmt.» Menschen seien aber soziale Wesen und beeinflussten sich gegenseitig in ihrem Handeln. «Wenn man die Möglichkeit und den Luxus hat, einen Menschen aufzuziehen, der die künftige Gesellschaft positiv beeinflussen kann, ist es vielleicht sogar egoistischer, dies nicht zu tun.»

«Ohne Kinder gibt es keine Zukunft für unsere Gesellschaft»

Philippe Gnaegi, Direktor von Pro Familia Schweiz, weiss, dass ein grosser Druck auf künftigen Eltern lastet: «Es ist aber ganz und gar nicht egoistisch, eine Familie zu gründen», sagt er. Jede und jeder dürfe frei darüber entscheiden, wie sie oder er leben möchte. «Es gibt eine Vielfalt von Haushalten – seien dies Familien oder aber auch Alleinstehende. Diese Freiheit muss man den Menschen geben und ihre Entscheidung respektieren», so Gnaegi. Die Kinder und Familien bildeten die Säulen der Gesellschaft: «Ohne Kinder gibt es keine Zukunft.»

«Wir sind viel weiter, als wir glauben»

Dass für Weltuntergangs-Szenarien kein Grund besteht, sagte jüngst der Zukunftsforscher Matthias Horx gegenüber 20 Minuten: «Die Welt ist immer gerade jetzt am Abgrund. Wir müssen uns immer in der ‹gefährlichsten aller Zeiten› fühlen, sonst fühlen wir uns nicht bedeutend genug.» Die Realität sehe anders aus: «Wir sind viel weiter, als wir glauben. Die Dekarbonisierung ist auf gutem Weg. Europa ist im russischen Angriffskrieg viel geeinter geworden. Unser Verhältnis zu Diktatoren klärt sich langsam. Und es könnte in diesem brutalen Krieg mittelfristig zu einer Stärkung der Uno und der globalen Menschenrechte kommen.» Auch Soziologin Katja Rost von der Uni Zürich sagt: «Besonders ideologische und Klimaschutzbewegungen fühlen sich bedroht und rechtfertigen dadurch ihre Einmischung in private Entscheidungen.» Klar sei aber: «Der Entscheid, ob man Kinder haben möchte oder nicht, muss privat sein. Die Gesellschaft hat hier keine Forderungen zu stellen. Das ist übergriffig.» 

Weiterlesen - ein Beitrag von Christina Pirskanen und Daniel Graf erschienen am 10.02.2023 auf www.20min.ch

Das passiert, wenn in sieben Jahren 270’000 Arbeitskräfte fehlen

Die Lücke im Schweizer Arbeitsmarkt wird immer grösser, die Folgen für die Wirtschaft sind dramatisch. Für Angestellte gibt es aber viele Vorteile.

Die wachsende Zahl an Menschen, die in Rente gehen, stellt die Wirtschaft vor Herausforderungen. Es rücken weniger junge Leute nach, deshalb fehlen immer mehr Arbeitskräfte.

Schon heute haben laut einer UBS-Umfrage 80 Prozent der Firmen Probleme bei der Besetzung offener Stellen.

Laut UBS-Ökonom Alessandro Bee dürfte es 2030 eine Lücke von rund 270’000 Arbeitskräften geben. Laut Avenir Suisse könnte die Lücke bis 2050 auf bis zu 1,3 Millionen steigen.

20 Minuten nennt die Folgen ab 2030:

Wirtschaft

  • Deutlich weniger Wachstum, sagt UBS-Ökonom Bee.

  • Höhere Lohnnebenkosten und Defizite im Staatsbudget, weil weniger Arbeitnehmende für mehr Renten aufkämen, so Bee.

  • Weniger Wohlstand oder längere Arbeitszeiten, sagt Simon Wey, Chefökonom des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.

  • Firmen könnten laut Wey das Land verlassen, sollten sie nicht mehr genügend rekrutieren können.

  • Möglich wäre laut Bee ein Innovationsschub, wenn Firmen mit zu wenig Angestellten Prozesse verbessern müssten und etwa auf Robotik setzten.

Löhne

  • Arbeitnehmende würden mehr Lohn fordern können, sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds.

  • Bei höherem Lohn droht laut Bee aber auch eine höhere Inflation.

  • Firmen sind laut Lampart gezwungen, Leute einzustellen, denen die Ausbildung für den Job fehlt, und die Ausbildung zu bezahlen.

  • Firmen können laut Wey den Mitarbeitenden wo angezeigt statt mehr Lohn zu bezahlen auch flexible Arbeitsmodelle oder Teilzeitarbeit anbieten.

Handwerkersuche

  • Schon heute gebe es für gewisse Handwerksarbeiten wie fürs Cheminée monatelange Wartezeiten, sagt Nico Lutz, Geschäftsleitungsmitglied und Leiter Sektor Bau der Gewerkschaft Unia, zu 20 Minuten.

  • 2030 könnte sich die Wartezeit laut UBS-Ökonom Bee ohne deutlichen Preiszuschlag noch deutlich verlängern.

  • Im Bau, Gesundheitssektor oder bei staatlichen Dienstleistungen sind laut Bee Wartelisten möglich.

  • Wey rechnet mit höheren Preisen und Verzögerungen für Produkte und Dienstleistungen mit Arbeitskräftemangel.

Alle betroffen

Vom Arbeitskräftemangel sind laut Bee Berufe mit unterschiedlichsten Ausbildungen betroffen, vom Gesundheitswesen über Handwerker bis zum Gastgewerbe.

Was lässt sich gegen den Arbeitskräftemangel unternehmen?

  • Mehr Zuwanderung wäre laut Bee aufgrund gesellschaftlicher und politischer Widerstände nur eine ergänzende Massnahme.

  • Wenn alle Frauen wie bei der AHV-Reform beschlossen bis 65 arbeiten, schliesst sich die Lücke um 50’000 Personen. 

  • Bee schlägt eine stärkere Integration von älteren Arbeitnehmenden ins Arbeitsleben vor. Unternehmen müssten dafür die Voraussetzungen schaffen.

  • Unia-Experte Lutz ist gegen längeres Arbeiten: Auf dem Bau sei das mit der körperlichen Arbeit nicht realistisch. Er fordert bessere Arbeitsbedingungen, Möglichkeit zur Teilzeitarbeit und höhere Löhne.

  • SGB-Chefökonom Lampart fordert von Firmen eine bessere Organisation und den Abbau von bürokratischem Leerlauf.

  • Wey vom Arbeitgeberverband nennt zudem bessere Erwerbsanreize für Mütter mit mehr Betreuungsplätzen, tieferen Elternbeiträgen sowie Individualbesteuerung und weitere Massnahmen etwa für anerkannte Flüchtende sowie gesundheitlich beeinträchtigte Personen. 

Weiterlesen - ein Beitrag von Fabian Pöschl erschienen am 09.02.2023 auf www.20min.ch

Teilzeitarbeit: Wer soll wegen des Fachkräftemangels mehr arbeiten?

Der Fachkräftemangel wirft neue Fragen auf. Eine Studie zeigt: Teilzeitarbeitende sollen dem entgegenwirken, nicht aber Mütter.

Eine neue Studie des Forschungsinstituts Sotomo zeigt: Das Verhältnis der Schweizer zu Teilzeitarbeit ist ambivalent, und Geschlechterrollen sind allgegenwärtiger, als es scheint. Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag der Initiative #geschlechtergerechter. Umfasst hat die repräsentative Umfrage 2000 Teilnehmende.

Von rechts bis links ist die Vier-Tage-Woche erstaunlich populär in der Schweizer Bevölkerung. In Island wurde das Modell zuerst eingesetzt: eine verkürzte Arbeitswoche mit dem gleichen Lohn.

In der Schweiz sind nicht nur linke Wähler und jüngere Befragte empfänglich für dieses Konzept. In der Basis der Mitte-Partei wird der Vorschlag «eher» oder sogar «stark» befürwortet. Gegenüber dem «Tagesanzeiger» sagt der Studienautor Michael Hermann: «Es ist etwas in Bewegung geraten. Das berühmte Schweizer Arbeitsethos bröckelt.»

Spannungsfeld, wenn es um Teilzeitarbeit geht

Insgesamt stellten die Studienmacher bei den Befragten «ein beträchtliches Spannungsfeld» betreffend ihrer Einstellung zur Teilzeitarbeit fest. So sei eine Mehrheit der Meinung, dass angesichts des Fachkräftemangels eigentlich mehr gearbeitet werden müsste. Ebenso fanden mehr als zwei Drittel der Befragten, «dass wir in der Schweiz eigentlich zu viel arbeiten».

Dieses Spannungsfeld führt zu scheinbar widersprüchlichen politischen Forderungen, wie es im Begleitschreiben der Studie heisst. So befürworteten die Befragten mehrheitlich einen garantierten Kita-Platz für alle und eine finanzielle Unterstützung von Eltern, die ihre Kinder selber betreuen. «Die Bevölkerung spricht sich für die Unterstützung von Familien aus, unabhängig von der Wirkung auf die Erwerbsbeteiligung», schrieben die Macher der Studie.

Ebenso bringt die Studie zum Vorschein, dass Väter laut einer Mehrheit der Teilnehmenden mehr arbeiten sollen als Mütter. Doch es gab kleine Unterschiede.

Männer und Frauen waren sich einig: Das ideale Arbeitspensum für Väter von schulpflichtigen Kindern beträgt 80 Prozent, so die Sotomo-Studie. Einig waren sich die zwei Geschlechtergruppen auch, dass Mütter weniger arbeiten sollten als Väter – das Familienmodell mit dem Mann als Haupternährer findet demnach noch immer Anklang.

Kleine Unterschiede gab es aber bei der Frage nach dem perfekten Erwerbspensum für Mütter. So hielten Frauen bei Müttern von schulpflichtigen Kindern ein 60-Prozent-Pensum für ideal, Männer hingegen ein 50-Prozent-Pensum. Mütter von Kleinkindern sollen nach den Vorstellungen der Studienteilnehmerinnen 50 Prozent arbeiten, die männlichen Studienteilnehmer hielten 45 Prozent für ausreichend.

Wie die Macher der Studie schrieben, bevorzugten Personen mit Hochschulabschluss, jüngere Menschen sowie solche, die linken Parteien näherstehen, egalitäre Aufteilungen der Erwerbsarbeit.

Kinderlose statt Mütter sollen Pensum erhöhen

Schwer hat es laut der Studie die jüngst akzentuiert aufgestellte Forderung, dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel mit einer Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Müttern zu begegnen. Es sei sogar die Gruppe, welche die Befragten zuletzt in die Pflicht nehmen würden.

Hingegen begegnen kinderlose Teilzeitarbeitende gewissen Vorbehalten. So waren knapp 50 Prozent der Befragten der Meinung, dass kinderlose Teilzeitarbeitende ihr Pensum aufstocken sollten, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Zudem sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, dass eigentlich gutverdienende Teilzeitarbeitende keinen Anspruch auf Vergünstigungen etwa bei den Kita-Kosten oder der Krankenkassenprämien haben sollten.

Weiterlesen - ein Beitrag von Aglaja Bohm erschienen am 07.02.2023 auf www.nau.ch

Crashkurs soll junge Männer in vier Stunden aufs Vatersein vorbereiten

Während Frauen bei Ärzten und in Beratungen aufs Muttersein vorbereitet werden, fühlen sich Väter in ihrer neuen Rolle oft alleine gelassen. Eine neue Plattform soll Abhilfe schaffen.

Die Plattform Niudad.ch will Männer auf ihre neue Rolle als Vater vorbereiten. Metin (36) wäre um ein solches Angebot froh gewesen. Vor der Geburt seiner Söhne habe er sich nicht vorstellen können, was es brauche, um ein engagierter Vater zu sein, und was man bei der Kindererziehung alles beachten müsse. Laut Thomas Neumeyer vom Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen Männer.ch ist es ist heute immer noch so, dass sich Frauen viel stärker aufs Elternsein vorbereiten als Männer.

Vatercrashkurse, Tests und Checklisten – die neue Plattform Niudad.ch soll werdenden Vätern dabei helfen, sich auf ihre neue Rolle vorzubereiten. Wie der Dachverband der Schweizer Männer- und Vaterorganisationen Männer.ch in einer Mitteilung schreibt, starte der Schweizer Durchschnittsmann bislang mit wenig Wissen, Vorbildern und Vernetzung ins Abenteuer Vaterschaft – so auch Metin (36). 

«Für werdende Väter gibt es kaum Angebote und Ressourcen»

Er wurde letztes Jahr Vater von Zwillingen. «Die ersten Wochen waren sehr anspruchsvoll.» Vor der Geburt seiner Söhne habe er sich nicht vorstellen können, was es brauche, um ein engagierter Vater zu sein, und was man bei der Kindererziehung alles beachten müsse. «Für werdende Väter gibt es kaum Angebote und Ressourcen. Alles, was ich damals gefunden habe, war zu Finanzen und Versicherungen, nicht zum Vatersein selbst.» Wie er sagt, wusste er während der Schwangerschaft seiner Partnerin nicht, wohin mit seinen Fragen. «Ich habe in meinem näheren Umfeld nicht viele Freundinnen und Freunde, die Eltern sind.» Einige Informationen habe er sich online zusammengesucht. 

Auch Vinzenz (38) ist ein zweifacher Vater. «Kinder waren die grösste Veränderung in meinem Leben. Zweifellos sind sie eine Bereicherung, allerdings bringen auch sie viele Herausforderungen mit sich.» Vor der Geburt seines ersten Kindes habe er sich kaum auf seine neue Rolle vorbereitet. «Das Thema Vatersein ist für den Mann eher abstrakt, da das Kind nicht im eigenen Bauch heranwächst. Ich wurde total ins kalte Wasser geworfen», so Vinzenz.

«Viele haben Mühe damit, über ihre Ängste und Fragen zu sprechen»

«Es ist heute immer noch so, dass sich Frauen viel stärker aufs Elternsein vorbereiten als Männer», sagt Thomas Neumeyer (39), Leiter Kommunikation von Männer.ch. Regelmässige Arztbesuche und Beratungen der werdenden Mutter seien Gründe dafür. Zudem sei ein Grossteil der zur Verfügung stehenden Literatur zu Kind und Geburt auf Frauen ausgerichtet.

Jungen Männern fehle es hingegen oftmals an Gelegenheiten, sich über die zukünftige Rolle auszutauschen. «Auch haben viele Männer Mühe damit, über ihre Ängste und Fragen zu sprechen.» Diese würden vielfach einfach totgeschwiegen. «Das muss sich ändern.» Mit der Plattform Niudad.ch wollen Neumeyer und sein Team deshalb den Austausch unter neuen Vätern aktiv fördern und ihnen in Kursen und Beratungen die Möglichkeit geben, von den Erfahrungen anderer zu profitieren. 

Weiterlesen - ein Beitrag von Gabriela Graber erschienen am 06.02.2023 auf www.20min.ch

Die alten Rollenmuster zeigen sich (leider) in diesen 13 Punkten zur Teilzeitarbeit

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in der Schweiz ein grosses Thema. Teilzeitarbeit kann vieles zur Lösung beitragen, doch eine neue Studie zeigt: Es ist noch ein weiter Weg zu ihrer endgültigen Akzeptanz.

Es gibt einen grossen Widerspruch, zwischen wie viel wir arbeiten und wie viel wir eigentlich arbeiten sollten. Und: Das Potenzial der Digitalisierung wird nicht erkannt und Teilzeitarbeit ist weiblich konnotiert. Das sind die Haupterkenntnisse aus der heute publizierten «Teilzeit-Studie» vom Forschungsinstitut Sotomo in Zusammenarbeit mit geschlechtergerechter Initiative (siehe Infobox), bei der zwischen dem 24. November und dem 12. Dezember 2022 über 2000 Schweizerinnen und Schweizer befragt wurden.

Arbeiten wir zu viel?

Wir beginnen mit dem grossen Widerspruch: Obwohl 56 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung sind, dass wir aufgrund der Überalterung der Gesellschaft und des Fachkräftemangels eigentlich mehr arbeiten müssten, finden 68 Prozent der Befragten, dass wir in der Schweiz grundsätzlich zu viel arbeiten. Auffallend auch, dass Frauen insgesamt eher denken, dass wir alle zu viel arbeiten. Gemäss den Studienmachern zeigt dies, dass Frauen folglich vermehrt den lebensweltlichen Zugang zur Erwerbsarbeit in den Vordergrund stellen («Wir arbeiten zu viel in der Schweiz»). Bei Männern hat dagegen die ökonomische Sichtweise mehr Gewicht («Wir sollten mehr arbeiten zur Sicherung des Wohlstands»).

Arbeit und Politik

Die generelle Haltung zur Erwerbsarbeit hängt stark von der politischen Orientierung ab. Personen, die linken Parteien näher stehen, finden eher, dass wir zu viel arbeiten. 

Nimmt uns die Digitalisierung Arbeit ab?

Nur ein Drittel glaubt, dass der digitale Wandel uns Arbeit abnimmt. Nur vier Prozent sind klar dieser Meinung. Die Digitalisierung wird auch in anderen Studien eher mit Stress und Leistungsdruck verbunden.

Wie viel würdest du «zum Spass» arbeiten?

Nehmen wir an, du hättest finanziell ausgesorgt. Wie viel Prozent würdest du noch arbeiten? In der Schweiz kommen wir auf einen Durchschnitt von 59 Prozent. Junge Männer würden gar eher noch etwas mehr arbeiten. Bei allen Personengruppen liegt das Pensum aber bei rund drei Tagen in der Woche.

Wer müsste mehr arbeiten?

Der Fachkräftemangel hat sich in den letzten Monaten zugespitzt. Wer diesen beheben soll, ist für rund die Hälfte klar: Kinderlose, die Teilzeit arbeiten. Erst danach folgen Mütter und Väter, die sich (für den Moment) aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben. Nur rund ein Drittel findet, dass Teilzeit arbeitende Mütter ihre Pensen erhöhen sollten.

Wer arbeitet Teilzeit?

Ein Grund für die Tatsache, dass das Arbeitspensum teilzeitarbeitender Mütter von allen am wenigsten infrage gestellt wird, dürfte auch damit zusammenhängen, dass Teilzeitarbeit in der Schweiz besonders stark mit dem Muttersein in Verbindung gebracht wird. 68 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz verbinden Teilzeitarbeit mit Müttern. Das sind mehr als doppelt so viele wie «Menschen mit vielen Interessen», die auf Rang 2 folgen. Väter verbinden nur 19 Prozent mit Teilzeitarbeit.

Das beste Erwerbsmodell

Dass Mütter eher im Teilzeitmodell gesehen werden, zeigt auch die Frage nach dem besten Erwerbsmodell. Während bei Paaren ohne Kinder ein Arbeitspensum von 80 Prozent mehrheitlich als ideal angesehen wird, geht die Schere bei Kindern zwischen den Geschlechtern auf. Frauen finden, dass eine Mutter mit Kleinkindern 50 Prozent arbeiten sollte, Väter 80 Prozent. Bei den Männern sind die Antworten mit 45 und 80 Prozent praktisch gleich.

Gelebte Erwerbsmodelle

Von den idealen Erwerbsmodellen zu denjenigen, welche wirklich gelebt werden. Von allen erwerbstätigen Befragten, die in Familien- oder Paarhaushalten leben, ist die durchschnittliche Erwerbsbeteiligung der Männer 89 Prozent, bei den Frauen sind es 65 Prozent. Der Unterschied geht praktisch ausschliesslich auf Paare mit Kindern zurück. Dort arbeiten Frauen im Schnitt deutlich weniger.

Wer bringt wie viel Geld heim?

Während sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern in Paarhaushalten ohne Kinder nur wenig unterscheidet, ist das Ungleichgewicht beim Beitrag zum Haushaltseinkommen etwas grösser. Männer in kinderlosen Paarhaushalten tragen im Durchschnitt 55 Prozent zum Haushaltseinkommen bei, Frauen 45 Prozent. Deutlich grösser wird dieser Unterschied natürlich, wenn Kinder im Spiel sind. Dann tragen Männer rund 70 Prozent des Einkommens bei. Der Graben, der sich in der Kinderphase öffnet, wird nie mehr geschlossen.

Wer muss sich rechtfertigen

Interessant ist, wer sich für sein Erwerbspensum rechtfertigen muss. Grundsätzlich muss sich nur jede/r Vierte ohne Kinder für sein Pensum rechtfertigen, wogegen Erwerbstätige mit Kindern dies deutlich häufiger tun müssen. Auffallend: Mütter müssen sich deutlich am meisten rechtfertigen, wenn sie (praktisch) voll im Erwerbsleben bleiben oder sehr wenig arbeiten. Väter müssen sich viel eher rechtfertigen, wenn sie nicht über 90 Prozent arbeiten. Und praktisch immer, wenn sie weniger als den «typischen Papitag» beziehen.

Warum erhöhen wir das Pensum nicht?

Die Gründe für Teilzeitarbeit sind verschieden. Die meisten wollen einfach mehr Freizeit. Gefolgt wird dies bei Frauen von der Hausarbeit und Zeit mit den Kindern. Bei den Männern ist der zweithäufigste Grund eine Weiterbildung, danach die Arbeitsbelastung. Erst danach sind «Zeit mit den Kindern verbringen» und «Hausarbeit» die Gründe für das Teilzeitpensum.

Herdprämie ist beliebt

Es werden derzeit verschiedene Massnahmen zur Förderung der Erwerbsbeteiligung auf dem öffentlichen und politischen Parkett diskutiert. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll verbessert werden. Ein Ansatz ist: dass Kinder ab drei Monaten einen gesetzlich zugesicherten Betreuungsplatz erhalten sollen. 58 Prozent der Befragten unterstützen diesen Ansatz. Bei den Frauen sind es gar 68 Prozent. Ein anderer Ansatz ist die «Herdprämie». Hier sollen Eltern finanziell entschädigt werden, wenn sie ihre Kinder selbst betreuen. Dies zeigt, dass Massnahmen, welche es für Eltern attraktiver machen, nicht erwerbstätig zu sein, ebenfalls hoch im Kurs stehen. Kurz: Eine deutliche Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet eine möglichst umfassende Unterstützung von Familien – unabhängig vom Erwerbsmodell.

Wer soll Betreuungskosten bezahlen?

Gratis soll die Kita nicht sein, der grössere Teil der Kosten sollen die Eltern tragen. Durchschnittlich geben die Befragten an, dass der Staat 36 Prozent der Kosten übernehmen soll. Frauen und jüngere Menschen würden lieber eine höhere Kostenbeteiligung des Staats sehen. Auch Befragte aus linken Parteien und solche mit tieferen Einkommen sind eher für staatliche Unterstützung.

Daten und Quelle
Die Datenerhebung fand zwischen dem 24. November und dem 12. Dezember 2022 statt und erfolgte online. Die Teilnehmenden wurden über die bestehenden Online-Panels von Sotomo und bilendi per Einladung rekrutiert («opt-in» online survey). Die realisierte Stichprobe beläuft sich auf 2019 Personen. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wurde die kombinierte Stichprobe mittels IPF-Verfahren («Iterative Proportional Fitting», auch «Raking» oder «Raking Ratio» genannt) statistisch gewichtet. Zu den Gewichtungskriterien gehören Geschlecht, Alter, Ausbildungsstand, Erwerbsquote sowie politische Positionierung (Parteinähe). Grundgesamtheit ist die sprachintegrierte Wohnbevölkerung der deutsch- und französischsprachigen Schweiz ab 18 Jahren. Für die vorliegende Gesamtstichprobe beträgt das 95-Prozent-Konfidenzintervall (für 50 Prozent Anteil) +/-2.2 Prozentpunkte.
 
Weiterlesen - ein Beitrag von Reto Fehr erschienen am 06.02.2023 auf www.watson.ch