Die alternierende Obhut benötigt vor allem gute Rahmenbedingungen

Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf bei der alternierenden Obhut: Die geltende Gesetzgebung ist ausreichend. Zu diesem Schluss kommt der Bundesrat in einem Bericht, den er an seiner Sitzung vom 24. April 2024 gutgeheissen hat. Die meisten Eltern können sich nach einer Trennung oder Scheidung über die Aufteilung der Kinderbetreuung einigen. Wie diese Aufteilung aussieht, hängt primär von den familiären Rahmenbedingungen und Lebensumständen ab.

Die alternierende Obhut ist eine Form der Kinderbetreuung, bei der die Kinder nach einer Trennung oder Scheidung abwechselnd bei beiden Elternteilen wohnen. Seit dem Inkrafttreten der Revision des Kindesunterhaltsrechts im Jahr 2017 muss im Streitfall das Gericht die Möglichkeit einer alternierenden Obhut zwingend prüfen, auch wenn diese Betreuungsform nicht von beiden Elternteilen gewünscht wird. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung die Kriterien für die Anordnung der alternierenden Obhut in strittigen Fällen festgelegt.

Mit dem Postulat 21.4141 von Andri Silberschmidt hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, die Praxis der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte nach 2017 zu evaluieren und dabei den Fokus auf die Obhuts- und Besuchsregelung zu legen. Dazu wurden zwei interdisziplinäre Studien in Auftrag gegeben.

Rahmenbedingungen sind entscheidend

Die Studien machen deutlich, dass die Beteiligung beider Elternteile an der Betreuung der Kinder in den letzten Jahren zwar an Bedeutung gewonnen hat, dass aber die Betreuungsanteile noch immer ungleich verteilt sind. Aufgrund der anspruchsvollen Voraussetzungen, wie beispielsweise der Distanz zwischen den Wohnorten der Eltern oder den finanziellen Verhältnissen, entscheiden sich die Eltern überwiegend gegen die alternierende Obhut. Dies zeigt, dass für die Wahl der Betreuungsform und damit auch für den Entscheid, ob das Kind abwechslungsweise bei beiden Elternteilen wohnt, die konkreten Lebensumstände und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausschlaggebend sind.

Die Studien zeigen auch, dass eine gleichmässig verteilte Kinderbetreuung nach der Trennung oder Scheidung der Eltern vor allem dort gelingt, wo die Eltern dieses Modell bereits während der Lebensgemeinschaft gelebt haben. Dies zu fördern, ist Aufgabe der Familien- und Kinderpolitik: Mütter und Väter benötigen gute Rahmenbedingungen, damit sich beide Elternteile um die Kinder kümmern können, auch wenn sie nicht mehr zusammenleben. Deshalb sieht der Bundesrat keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf bei der alternierenden Obhut. Vielmehr geht es darum, im Einzelfall diejenige Lösung zu finden, die dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Aus diesem Grund lehnt der Bundesrat auch eine gesetzliche Verankerung der alternierenden Obhut zu gleichen Teilen als Regelfall ab.

Handlungsbedarf beim Familienverfahrensrecht

Prüf- und Handlungsbedarf sieht der Bundesrat aber in anderen Bereichen, die eng mit der Förderung der gemeinsamen Verantwortung der Eltern nach der Trennung oder Scheidung zusammenhängen. Zum einen sollen das Zusammenspiel von Obhut und Unterhalt sowie die Möglichkeiten einer allfälligen Vereinfachung der Unterhaltsberechnung analysiert werden. Zum andern hat das Parlament den Bundesrat mit einer Einschätzung beauftragt, wie das Familienverfahrensrecht verbessert werden könnte. Dabei geht es namentlich um die Frage, wie strittige Eltern bei der Organisation der gemeinsamen Elternschaft nach der Trennung oder Scheidung besser unterstützt werden können. Zu denken ist beispielsweise an die Integration von Instrumenten zur Konfliktdeeskalation im Verfahren, namentlich eine frühzeitige Mediation oder eine angeordnete Beratung. Der Bundesrat wird voraussichtlich Anfang 2025 einen Bericht für eine mögliche Revision des Familienverfahrensrechts vorlegen.

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